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Marcus Stiglegger
Körpertheorie der Medien
Eine Einführung
I.
Die Kommunikationsmedien erweisen sich als tendenziell anthropozentrisch:
Der menschliche Körper steht im Fokus der audiovisuellen Medien –
Fotografie, Film, Fernsehen, Computerspiel, in vielerlei Hinsicht auch
der Social Media. Mittels des Körpers wird erzählt: nicht nur
von existenziellen Dramen, sondern auch über interkulturelle Konflikte
und Gemeinsamkeiten, Identitäten – über body politics.
Körpertheorie und Medien verbinden sich in einem Diskurs von Kulturpraktiken
der körperlichen Repräsentation im Spannungsfeld von medialer
Technologie, Konstruktion von Geschlechtern und Identitäten sowie
kulturellen Kontexten vor interkulturellem Hintergrund. Es zeigt sich
hierbei vor allem eine immer stärker in den Vordergrund tretende
Körperlichkeit der Medien selbst: die mediale Performanz.
Die Wahrnehmung des Körpers ändert sich jeweils
mit der Einführung neuer Kommunikationsmedien, und statt rein institutioneller
Körpereinschreibungen setzen die gegenwärtigen sozialen Faktoren
von Vernetzung und veränderter Kommunikationsformen ein Spiel mit
der körperlichen Repräsentation und Performanz frei (Crary 1990).
Das ermöglicht eine Vervielfachung der Identitätsbildungen von
Medienrezipienten, die innerhalb der sich ständig zwischen Realität
und Virtualität befindlichen Medienkörper entstehen. Zweifellos
hat die Einführung digitaler Medien eine tiefgreifende Veränderung
der Kultur nach sich gezogen.
Es ist demnach Aufgabe der Medienwissenschaft zu ermitteln,
was speziell die mit diesen neuen Technologien einhergehenden sozialen
Veränderungen bedeutet, und wie die Position des Menschen in dieser
veränderten Welt aussehen könnte (z.B. Turkle 1998).
Es muss also gefragt werden: Wie hat sich unter diesem
neuen medialen Einfluss die Vorstellung vom Körper verändert?
Welchen Einfluss üben audiovisuelle und digitale Medien auf das Körperverständnis
aus? Einerseits bleibt der Körper physisch und in seiner medialen
Vermittlung ein historisches Subjekt, andererseits erweist er sich in
seiner medialen Darstellung als multiplizierbar (etwa als Avatar in Online-Rollenspielen
oder durch andere Telepräsenzeffekte) oder als zu 'verflüssigendes'
Subjekt (etwa im digitalen Morphing). Während der physische Körper
durch Prothesen vervollständigt und optimiert werden kann (resultierend
im Cyborg, dem Hybriden von Mensch und Maschine), erweist sich auch das
mediale Bild vom Körper als idealisierbar – durch digitale
'Kosmetik' etwa, oder im Kontext der filmischen Montage, wo Schauspielerkörper
und Bodydouble in gefährlichen oder pikanten Momenten unkenntlich
vermischt werden.
II.
Auch die internationale Gender-Forschung hat den Blick auf den Körper
verändert und differenziert. So wird die dichotome Geschlechterzuweisung
auch in medialen Darstellungen zusehends vermieden. Geschlechtlichkeit
wird medientheoretisch als komplexe Performanz des Körpers in einem
Netz diverser, mitunter widersprüchlicher Rollenmustern betrachtet.
Ein damit verknüpfter Körperdiskurs behandelt das Verhältnis
von Machtsystemen und Körperlichkeit (Foucault 1994; Butler 1997).
Dabei werden sozialwissenschaftliche Forschungsansätze eingebracht,
in denen die Entwicklung menschlicher Gemeinwesen mit aus den Biowissenschaften
entlehnten Modellvorstellungen veranschaulicht wird, insbesondere dem
Organisationsmodell, das davon ausgeht, ein menschliches Gemeinwesen müsse
funktional so gegliedert sein wie ein Organismus; und dem darwinistischen
Selektionsmodell des survival of the fittest, der Aufforderung, aus Überlebensgründen
heraus nicht lebenswertes menschliches Leben aktiv zu vernichten oder
zumindest an der Fortpflanzung zu hindern (Günzel 2009, 80). Gerade
dieses körperbezogene Gedankenspiel wird häufig in dystopischen
Medien (z.B. Horror- und Science Fiction-Filmen und Games) aufgegriffen.
Gleichzeitig wird mit dem body turn in der Soziologie eine Begrifflichkeit
eingeführt, die das neue Interesse an Körpern verdeutlicht und
darüber hinausgehend zeigt, dass Körper in unterschiedlichen
Disziplinen an Relevanz gewinnen.
Auch die Raumwissenschaft widmet sich Körpern und
deren Positionierung im Raum, wobei es wiederum Science Fiction- und Horrorfilme
sind, die den Menschen nach überstandenen Katastrophen allein im
Raum, respektive in verwüsteten Landschaften, urbaner Architektur
oder klaustrophobischen Räumen zeigen und – dem biologistischen
Konzept des survival of the fittest folgend – dessen Bemühungen,
die Katastrophe zu überleben. Nicht selten kommt es dabei zur Konfrontation
mit anderen Körpern, die sich durchaus als nicht menschlich erweisen
können. Der Umgang mit Körpern und (erfahrender) Körperlichkeit
wird in unterschiedlichen Genres und medialen Sparten (Film, TV, Games)
fokussiert. Im Horrorfilm wird Körperlichkeit zudem häufig verhandelt
als Transformation, die der 'normalen' Körperlichkeit gegenüber
steht, wobei sich nicht selten die Frage stellt, was überhaupt ein
'normaler' Körper ist.
III.
In der Mediatisierung des menschlichen Körpers kommt dem Medium Film
eine Schlüsselfunktion zu: Historisch war es das erste Medium, das
eine überzeugende Reproduktion des visuellen Eindrucks im Bewegtbild
ermöglichte, später kamen Tonspur und Farbe hinzu und vervollständigten
den illusionistischen (audiovisuellen) Eindruck. Auf diese Weise blieb
der Film bis heute das Leitmedium in der Mediatisierung des Körpers
und hat Einfluss auf entsprechende Darstellungen im Fernsehen, im Computerspiel
und dem Internet. Film ist von Beginn an ein primär anthropozentrisches
Medium: Im Mittelpunkt dieses Mediums und seiner seduktiven Strategien
steht der menschliche Körper in all seinen Facetten. Nun ist dies
kein authentischer Körper, sondern vielmehr die idealisierte Simulation
eines solchen, fest eingebunden in das inszenierte Spiel und die Montage
des audiovisuellen Systems. Als Konsequenz daraus ist das Spiel der Schauspieler
ebenso fragmentiert, wie die filmtechnische Apparatur deren Körper
'zerlegt’ und neu zusammensetzt: In der Montage erst entsteht die
audiovisuelle Repräsentation eines menschlichen Körpers, der
vom Publikum als solcher überhaupt wahrgenommen werden kann.
Sich der Problematik filmischer Körperpräsentation
zu nähern, öffnet demnach unzählige Möglichkeiten,
die zudem einen kompletten filmhistorischen Fokus zu berücksichtigen
haben (z.B. Doane 1985). So könnte etwa die Rede sein von der Neukonstruktion
des Körpers mittels Montage. Dziga Vertov brachte dieses Phänomen
bereits in seinem Aufsatz „Kinoki – Umsturz“ (1923)
deutlich zum Ausdruck: „Ich bin Kinoglaz, ich schaffe einen Menschen,
der vollkommener ist als Adam, ich schaffe tausende verschiedener Menschen
nach verschiedenen, vorher entworfenen Plänen und Schemata“
(Vertov 1998, 45). Die Montage fragmentiert also und fügt zusammen,
was die Kamera zunächst auf seine mediale Funktionalität „testet“
(Benjamin 1977).
Das Publikum unterwirft sich von jeher lustvoll jenen seduktiven
Strategien, die die filmische Inszenierung für sie bereithält:
Seit den charismatischen Stars der Stummfilmära läuft die Verführung
des Publikums über den präsentierten, konstruierten Körper.
Und der simulierten Natur dieser oft makellosen Körperlichkeit vertraut
der Rezipient offenbar widerstandslos: Die Körper der Stars sind
die Erfüllung der Wunschträume und Utopien. Ist der Körper
des weiblichen Stars meist einer der überirdischen Schönheit,
wird der (identifikationstaugliche) männliche Körper mitunter
zu einem militarisierten, nahezu mechanisierten Körper – oder
aber zur androgynen Auflösung der Gender-Grenzen.
IV.
Der Körperdiskurs des Kinos ist zweifellos von der Geburt des Mediums
an elementar für eine theoretische Beschäftigung mit dem Film.
Umso erstaunlicher ist die eher sporadische Thematisierung des Körperbildes,
das erst in den letzten Jahren vermehrt einer wissenschaftlichen Betrachtung
unterzogen wird. Doch während sich im englischsprachigen Bereich
zahlreiche theoretische Ansätze zum Thema etabliert haben (vor allem
Linda Williams, Barbara Creed, Vivian Sobchak oder Steven Shaviro), ist
man in der deutschsprachigen Forschung zögerlich.
Von großem Einfluss ist noch heute Steven Shaviros von Gilles Deleuze
und Felix Guattari inspirierte Monographie The Cinematic Body (1993),
die als Gegenentwurf zu einer primär psychoanalytisch (und somit
von Jacques Lacan inspirierten) Filmtheorie gedacht ist.
Nach Shaviro ist Filmrezeption präreflexiv und tritt
hinter die symbolische Ordnung zurück. Das filmische Bild entzieht
sich so der Ordnung reiner Repräsentation. Shaviro betrachtet Filmerfahrung
als einen schockartigen, ansteckenden Akt, der mitunter den Körper
des Rezipienten angeht, bevor sich dieser dessen intellektuell bewusst
wird (Shaviro 1993, 38). Der somatische Effekt geht der bewussten Wahrnehmung
voraus. Diese Vereinnahmung des unfreiwillig passiven Zuschauers gleicht
einer masochistischen Disposition (Shaviro 1993, 32). Diese seduktive
Strategie einer intendierten Vereinnahmung und letztlich Unterwerfung
des Zuschauers unter die sinnlichen (audiovisuelle) Eindrücke appelliert
an ein somatisches, körperliches Empfinden. Filmrezeption konfrontiert
also nicht nur mit medialen Abbildern des Körpers, sondern zielt
selbst auf den Körper des Rezipienten ab. Daher ist der Titel The
Cinematic Body in dieser Vieldeutigkeit zu begreifen: als abgebildeter,
mediatisierter Körper auf der Leinwand, als Körper und somatische
Erfahrung des Zuschauers und schließlich als zwischen Leinwand und
Zuschauer entstehender virtueller 'Filmkörper’ – mit
Deleuze durchaus als „organloser Körper“ zu betrachten.
Pionierarbeit leistete in der deutschen Filmwissenschaft
1998 der Sammelband Unter die Haut. Signaturen des Selbst im Kino der
Körper von Jürgen Felix, der von der These ausgeht, dass „sich
das postmoderne Spiel mit Zeichen und Zuschauer erschöpft hatte,
ein Referenzsubjekt neu verortet wurde: dass sich der Körper wiederum
als seismographisches Instrument und möglicher Ort authentischer
Erfahrung erweist – ein geschundener, gequälter, bis zur Selbstauflösung
destruierter Körper.“ (Felix 1998, 9) Er kommt zu dem Schluss:
„Das Kino der Körper [...] fordert zur Neubestimmung einer
Filmkultur heraus, die tradierte Kategorien des Genrekinos und Autorenfilms
sprengt, die sich autoreflexiv und intermedial bestimmt, im Rekurs auf
klassische und moderne Vorbilder neu gestaltet, die nicht länger
an das Dispositiv Kino gebunden ist und Signaturen des Selbst in den Körper
einschreibt.“ Von der Virtualität des filmisch repräsentierten
Körpers dagegen geht der Band No Body Is Perfect. Körperbilder
im Kino (2001) aus: „Die Inszenierung von Körpern im filmischen
Raum zählt zu den elementaren Kunstmitteln des Mediums. [...] Im
Unterschied zur leibhaftigen Anwesenheit des Körpers beim Bühnenschauspieler
ist physische Präsenz im Kino stets eine imaginäre“ (Frölich
u.a. 2001, 7). Der Körper wird noch einmal als Domäne authentischer
Erfahrung erkundet, bevor sich die Virtual Reality an einer „Überwindung
des Körpers“ versucht (Stiglegger in Frölich u.a. 2001,
14).
V.
Im Rahmen der Seduktionstheorie
des Films, die von Patrick Fuery (2000) und Marcus Stiglegger (2006)
entwickelt wurde, kommt der Körperinszenierung ein bedeutende Rolle
zu, denn mit dem ikonographischen Appell an das affektive Gedächtnis
des Zuschauers wird eine verführerische Bindung geschaffen, die den
Zuschauer durch Intensität und Sensation angeht und mit Shaviros
Ansatz einer masochistischen Filmrezeption korrespondiert. Darin liegt
die „corporeality of the filmic discourse“ (Fuery 2000, 71ff.)
und dessen „performative Qualität“ (Stiglegger 2006,
198ff.), Phänomene, auf die später Thomas Elsaesser und Malte
Hagener in ihrer Filmtheorie zu sprechen kommen, indem sie die seduktive
Vereinnahmung durch taktiles Kino als „parasitär“ beschreiben
(Elsaesser/Hagener 2008, 19). Auch in Wort und Fleisch. Kino zwischen
Text und Körper (2008) kommt wiederum die performative Qualität
des Films im Kontext des Körperkinos zur Sprache (Curtis in Nessel
u.a. 2008, S. 75ff.).
In Dagmar Hoffmanns Körperästhetiken (2010) steht
ein mediensoziologischer Ansatz im Zentrum. Dabei argumentiert man grundsätzlich,
der Kult um den Körper sei ein Phänomen der (Post-)Moderne,
der vor allem über den medialen Diskurs stabil gehalten wird. Die
einzelnen Aufsätze untersuchen demnach vor allem Beispiele aus der
letzten Dekade und fragen methodisch divers nach der Funktion und sozialen
Basis der filmisch kommunizierten Köperbilder. Dabei werden Subtexte
wie Sterblichkeit, Körperfülle, Alter und Jugend und Virtualität
betrachtet.
Einen alternativen Ansatz im Kontext dieser somatischen
Medientheorien bietet Thomas Morsch mit seiner Dissertation Medienästhetik
des Films. Verkörperte Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung
im Kino (2011). Er nähert sich der Thematik auf betont komplexe Weise
in drei Schritten an: die „ästhetische Figuration des Körperlichen“,
die „verkörperte Wahrnehmung – zur Medienästhetik
des Films“ und schließlich „Körperlichkeit und
ästhetische Erfahrung“. Dabei kommen die sehr unterschiedlichen
Körperbezüge der Filmtheorie zur Sprache; zudem wird das Verhältnis
von Filmtheorie und Film-Philosophie diskutiert, denn speziell in diesem
Kontext und der Anwendung poststrukturalistischer Ansätze geraten
die Grenzen in Fließen. Konzepte wie das punctum (Roland Barthes),
der Exzess, der Masochismus des Körpers oder die Taktilität
des Films werden hier ebenso wie die Performativität des Mediums
betont: der flüchtige wie intensive Ereignischarakter des Filmerlebens
mit seinem starken Appell an das Körpergedächtnis des jeweiligen
Zuschauers.
Ivo Ritzer und Marcus Stiglegger thematisieren in Global
Bodies. Mediale Repräsentationen des Körpers (2012) die Körperdarstellungen
in unterschiedlichen Medien und entfalten so ein Panorama der gegenwärtigen
Körpertheorie. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit oft innovativen
Kulturpraktiken der körperlichen Repräsentation im Spannungsfeld
von medialer Technologie, Konstruktion von Geschlechtern und Identitäten
sowie kulturellen Kontexten zwischen Europa, Nordamerika, Lateinamerika
und Asien. Es zeigt sich hierbei erneut eine immer stärker in den
Vordergrund tretende Körperlichkeit der Medien selbst: die mediale
Performanz.
VI.
Es besteht eine Dialektik zwischen der Mediatisierung des Körpers
einerseits und der Körperlichkeit des medialen, im engen Sinne filmischen
Bildes andererseits. Der Cinematic Body (Shaviro 1993) ist zwischen diesen
beiden Polen verortet – gleichsam als Ergebnis einer Reibung zwischen
Rezipient und Medium. Dieser Prozess inspirierte vor allem die von Gilles
Deleuze inspirierte Medientheorie. Patricia McCormack begreift in Cinesexuality
(2008) z.B. das audiovisuelle Medium als einen „organlosen Körper“,
zu dem das Auge als reduziertes Geschlechtsorgan in ein sinnliches Verhältnis
tritt. Dem audiovisuellen Medium selbst kommt ungeachtet seiner Phantomhaftigkeit
somit eine körperliche Qualität zu: Es wird zu einem 'Cinematic
Body’, dem sich der menschliche Sinnesapparat in einem quasi sexuellen
Akt hingibt.
In ihrem durchaus exzentrischen Theoriemodell, das in großen
Zügen den seduktiven Strategien medialer Inszenierung entspricht,
plädiert MacCormack deutlich für eine performative Körperlichkeit
dieser Medien (durch Textur, Licht, Schatten, letztlich alle gebotenen
'Sensationen'), die unabhängig von einer bloßen Abbildung des
(menschlichen) Körpers besteht und jenseits von symbolischen und
semantischen oder gar kulturspezifischen Zuschreibungen funktioniert.
Dieser Ansatz kann zugleich als eine Herausforderung in der Betrachtung
anderer audiovisueller Medien verstanden werden, deren Medien-Körper
kulturenübergreifend weniger an eine intellektuelle Kognition, als
vielmehr an ein sinnliche Rezeption der medialen Performanz appellieren.
Wesentlich erscheint also die Inter-Korporealität zwischen Bildraum
und Zuschauerkörper, wobei speziell der Film einen Kurzschluss von
leiblicher Erfahrungsebene und phantasmatischem Imaginärem ermöglicht.
VII.
Den Medienkörper ganz unmittelbar zu simulieren unternimmt die 3-D-Simulation.
Jens Schröter (2008) stellt u.a. ein Modell zur Konzeptionalisierung
der Relation zwischen menschlichem Körper und dreidimensionalem Bild
vor und betont, dass bestimmte 3D-Bilder wie stereoskopische Repräsentationen
ein spezifisches Körper-Wissen implizieren, das aus deren apparativer
Struktur resultiert. So ist die Stereoskopie dem Humankörper nachgebildet
und ein Produkt der physiologischen Optik, während etwa das holografische
Bild kein Wissen über den Körper voraussetzt. Wo damit die Stereoskopie
als eine Ausweitung des Körpers im McLuhan'schen Sinne zu verstehen
ist, nimmt die Holografie nicht den Status einer solchen Extension ein.
Auch differieren Holografie und Stereoskopie in ihrem ästhetischen
Effekt: Erzeugt letztere durch ihre unhintergehbare Linearperspektive
der Einzelbilder nur scheinbar eine dreidimensionale Repräsentation,
offeriert erstere ganze spatiale Informationen eines physischen Objekts.
Von unterschiedlichen dreidimensionalen Körper-Repräsentationen
werden damit auch ganz unterschiedliche Wahrnehmungsformen von generiert.
Anhand von Michel Foucault macht Schröter deutlich, wie 3D-Bilder
auf der Basis von Wissen über den Körper zu dessen Kontrolle
nutzbar gemacht werden können. So beruhen dreidimensionale Repräsentationen
nicht nur auf Körper-Wissen, sie vermögen dieses – etwa
in der medizinischen Diagnostik – auch hervorzubringen. In James
Camerons 3D-Produktion Avatar (2009) wird dieses Potential diskursiviert,
wenn Cameron auf diegetischer Ebene des Films ein dreidimensionales Display
arrangiert und damit auf Forschungstraditionen anspielt, die über
räumliche Virtualisierungen auf Disziplinierungen des Körpers
abzielen.
VIII.
Mit der simulierten subjektiven Körperlichkeit arbeitet vor allem
die virtuelle Welt des Computerspiels. Der Blick im Sinne des „Netzhaut-Screens“
ist die Voraussetzung eines immersiven Erlebens wird. Daraus resultiert
der „identifikative Modus“ des Spielers, der seinen Avatar
im Spielkontext als eigenen Körper erlebt. Die Konstruktion eines
virtuellen Körperavatars ermöglicht den Zugang zur virtuellen
Welt, wobei die Dissoziierung von tatsächlichem Körper und Geist
voranschreitet. Games verleihen der phantasierten Überwindung des
zum reinen „Fleisch“ degradierten Körpers Ausdruck und
ersetzen die Leiblichkeit durch Datenströme. Der Leib tritt über
das Interface mit der virtuellen Welt über Visualität und minimale
Haptik in Kontakt. Die herkömmliche Praxis des Gamings trägt
klassische oder traditionelle Dispositive von Subjektivität und subjektiver
Selbstgewissheit und damit höchst ideologische Axiome subjektiver
Verfügungsmacht weiter, da der Gamer die virtuelle Welt vorrangig
und in spezifischer Weise visuell erkennend erschließt. Dieser Umstand
trägt zum 'Verschwinden' des Körpers in Blickwinkel des Betrachters
bei. Andererseits ist das spielende Subjekt stets von Auflösung bedroht,
denn es ist der virtuellen Welt immer in einer Weise verbunden, welche
das Regime des Blickes zu durchbrechen in der Lage ist und an seine Stelle
den Körper in seiner Ganzheit und in seiner Verbindung zur Gesamt-Kontinuität
biotechnologischen Existierens setzt. Es gibt dabei die spielerische Möglichkeit
und Notwendigkeit der Entscheidung sowie deren Konsequenz, den Körper
zurück ins Spiel zu bringen: Der Tod eigener oder fremder Avatare
will bedacht werden.
IX.
Der performative Turn des Mediums Film in seiner postklassischen Phase
ist direkt mit dem Körperkino verknüpft. Paul Virilio stellte
im Jahr 2000 bereits fest: „Mit dem ausgehenden Jahrtausend vollendet
sich vor unseren Augen das, worin von Anfang an das Ziel der abstrakten
Kunst bestand: das Ende der REPRÄSENTATIVEN oder darstellenden Kunst,
an deren Stelle eine Gegenkultur tritt, eine Kunst, die nur noch PRÄSENTIERT.“
(Virilio 2001: 17) Das Kino der Postmoderne arbeitet mittels haptischer
Bilder erfolgreich an einer Revolutionierung der körperorientierten
Filminszenierung, indem es die etablierten Gesetze eines narrativen (somit
repräsentativen) Erzählkinos nach dem Vorbild Hollywoods systematisch
bricht und an die Stelle von Linearität und Psychologie die in ständigem
Fluss befindliche Textur der Bilder (deren Präsentation bzw. Performanz)
selbst stellt. Als Basis dienen ihm der menschliche Körper und natürliche
Objekte. Das Ergebnis sind ereignisorientierte,
'haptische' Tableaus, die eine performative Qualität des Mediums
über dessen narrative Funktionen stellen.
Nicht nur der grundsätzliche Körperbezug audiovisueller Medien,
sondern gerade die immer präsentere Performativität dieser medialen
Darstellungen belegen, dass die Körpertheorie als Teilbereich der
Medienwissenschaft noch immer am Anfang einer intensiven Auseinandersetzung
steht, zumal gerade die Implikationen der interaktiven Medien diesbezüglich
noch schwer absehbare Neuerungen bringen werden.
Literatur:
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.
Frankfurt a.M. 1977.
Judith Butler: Körper von Gewicht. Frankfurt a.M. 1997.
Crary, Jonathan: Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in
the Nineteenth Century. Cambridge, Mass./London 1990.
Doane, Mary-Ann: The Voice in the Cinema. The Articulation of Body and
Space. In: Movies and Methods, Vol. II. Hrsg. von Bill Nichols. Berkeley
1985, S. 565-576.
Thomas Elsaesser / Malte Hagener: Filmtheorie. Zur Einführung. Hamburg
2008.
Jürgen Felix (Hrsg.): Moderne Film Theorie. Mainz 2002.
Michel Foucault: Überwachen und Strafen, Die Geburt des Gefängnisses.
Frankfurt a.M. 1994.
Margrit Frölich u.a. (Hrsg.): No Body Is Perfect. Körperbilder
im Kino. Marburg 2001
Günzel, Stephan (Hrsg.): Raumwissenschaften. Frankfurt am Main 1990.
Fuery, Patrick: New Developments in Film Theory. New York 2000.
Dagmar Hoffmann (Hrsg.): Körperästhetiken. Filmische Inszenierungen
von Körperlichkeit. Bielefeld 2010, S. 11ff.
Marks, Laura U.: The Skin of the Film. Intercultural Cinema, Embodiment,
and the Senses. Durham/London 2000.
Sabine Nessel u.a. (Hrsg.): Wort und Fleisch. Kino zwischen Text und Körper.
Berlin 2008.
Ivo Ritzer/Marcus Stiglegger (Hg.): Global Bodies. Mediale Repräsentationen
des Körpers. Berlin 2012.
Schroeter, Jens: 3D. München 2009.
Shaviro, Steven: The Cinematic Body. Minnesota 1993.
Stiglegger, Marcus: Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel
und Sinnlichkeit im Film, Berlin 2006.
Sherry Turkle: Leben im Netz. Identität im Zeitalter des Internets.
Reinbek bei Hamburg 1998, S. 340-361.
Dziga Vertov: Kinoki - Umsturz, in: Franz-Josef Albersmeier (Hrsg.): Texte
zur Theorie des Films. Stuttgart 1998
Virilio, Paul: Eine gnadenlose Kunst. In: ders.: Die Kunst des Schreckens.
Berlin 2001.
Veröffentlicht 5.6.2011, (c) by Marcus Stiglegger
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