Marcus Stiglegger

Körpertheorie der Medien

Eine Einführung

I.
Die Kommunikationsmedien erweisen sich als tendenziell anthropozentrisch: Der menschliche Körper steht im Fokus der audiovisuellen Medien – Fotografie, Film, Fernsehen, Computerspiel, in vielerlei Hinsicht auch der Social Media. Mittels des Körpers wird erzählt: nicht nur von existenziellen Dramen, sondern auch über interkulturelle Konflikte und Gemeinsamkeiten, Identitäten – über body politics. Körpertheorie und Medien verbinden sich in einem Diskurs von Kulturpraktiken der körperlichen Repräsentation im Spannungsfeld von medialer Technologie, Konstruktion von Geschlechtern und Identitäten sowie kulturellen Kontexten vor interkulturellem Hintergrund. Es zeigt sich hierbei vor allem eine immer stärker in den Vordergrund tretende Körperlichkeit der Medien selbst: die mediale Performanz.

Die Wahrnehmung des Körpers ändert sich jeweils mit der Einführung neuer Kommunikationsmedien, und statt rein institutioneller Körpereinschreibungen setzen die gegenwärtigen sozialen Faktoren von Vernetzung und veränderter Kommunikationsformen ein Spiel mit der körperlichen Repräsentation und Performanz frei (Crary 1990). Das ermöglicht eine Vervielfachung der Identitätsbildungen von Medienrezipienten, die innerhalb der sich ständig zwischen Realität und Virtualität befindlichen Medienkörper entstehen. Zweifellos hat die Einführung digitaler Medien eine tiefgreifende Veränderung der Kultur nach sich gezogen.

Es ist demnach Aufgabe der Medienwissenschaft zu ermitteln, was speziell die mit diesen neuen Technologien einhergehenden sozialen Veränderungen bedeutet, und wie die Position des Menschen in dieser veränderten Welt aussehen könnte (z.B. Turkle 1998).

Es muss also gefragt werden: Wie hat sich unter diesem neuen medialen Einfluss die Vorstellung vom Körper verändert? Welchen Einfluss üben audiovisuelle und digitale Medien auf das Körperverständnis aus? Einerseits bleibt der Körper physisch und in seiner medialen Vermittlung ein historisches Subjekt, andererseits erweist er sich in seiner medialen Darstellung als multiplizierbar (etwa als Avatar in Online-Rollenspielen oder durch andere Telepräsenzeffekte) oder als zu 'verflüssigendes' Subjekt (etwa im digitalen Morphing). Während der physische Körper durch Prothesen vervollständigt und optimiert werden kann (resultierend im Cyborg, dem Hybriden von Mensch und Maschine), erweist sich auch das mediale Bild vom Körper als idealisierbar – durch digitale 'Kosmetik' etwa, oder im Kontext der filmischen Montage, wo Schauspielerkörper und Bodydouble in gefährlichen oder pikanten Momenten unkenntlich vermischt werden.

II.
Auch die internationale Gender-Forschung hat den Blick auf den Körper verändert und differenziert. So wird die dichotome Geschlechterzuweisung auch in medialen Darstellungen zusehends vermieden. Geschlechtlichkeit wird medientheoretisch als komplexe Performanz des Körpers in einem Netz diverser, mitunter widersprüchlicher Rollenmustern betrachtet.
Ein damit verknüpfter Körperdiskurs behandelt das Verhältnis von Machtsystemen und Körperlichkeit (Foucault 1994; Butler 1997). Dabei werden sozialwissenschaftliche Forschungsansätze eingebracht, in denen die Entwicklung menschlicher Gemeinwesen mit aus den Biowissenschaften entlehnten Modellvorstellungen veranschaulicht wird, insbesondere dem Organisationsmodell, das davon ausgeht, ein menschliches Gemeinwesen müsse funktional so gegliedert sein wie ein Organismus; und dem darwinistischen Selektionsmodell des survival of the fittest, der Aufforderung, aus Überlebensgründen heraus nicht lebenswertes menschliches Leben aktiv zu vernichten oder zumindest an der Fortpflanzung zu hindern (Günzel 2009, 80). Gerade dieses körperbezogene Gedankenspiel wird häufig in dystopischen Medien (z.B. Horror- und Science Fiction-Filmen und Games) aufgegriffen. Gleichzeitig wird mit dem body turn in der Soziologie eine Begrifflichkeit eingeführt, die das neue Interesse an Körpern verdeutlicht und darüber hinausgehend zeigt, dass Körper in unterschiedlichen Disziplinen an Relevanz gewinnen.

Auch die Raumwissenschaft widmet sich Körpern und deren Positionierung im Raum, wobei es wiederum Science Fiction- und Horrorfilme sind, die den Menschen nach überstandenen Katastrophen allein im Raum, respektive in verwüsteten Landschaften, urbaner Architektur oder klaustrophobischen Räumen zeigen und – dem biologistischen Konzept des survival of the fittest folgend – dessen Bemühungen, die Katastrophe zu überleben. Nicht selten kommt es dabei zur Konfrontation mit anderen Körpern, die sich durchaus als nicht menschlich erweisen können. Der Umgang mit Körpern und (erfahrender) Körperlichkeit wird in unterschiedlichen Genres und medialen Sparten (Film, TV, Games) fokussiert. Im Horrorfilm wird Körperlichkeit zudem häufig verhandelt als Transformation, die der 'normalen' Körperlichkeit gegenüber steht, wobei sich nicht selten die Frage stellt, was überhaupt ein 'normaler' Körper ist.

III.
In der Mediatisierung des menschlichen Körpers kommt dem Medium Film eine Schlüsselfunktion zu: Historisch war es das erste Medium, das eine überzeugende Reproduktion des visuellen Eindrucks im Bewegtbild ermöglichte, später kamen Tonspur und Farbe hinzu und vervollständigten den illusionistischen (audiovisuellen) Eindruck. Auf diese Weise blieb der Film bis heute das Leitmedium in der Mediatisierung des Körpers und hat Einfluss auf entsprechende Darstellungen im Fernsehen, im Computerspiel und dem Internet. Film ist von Beginn an ein primär anthropozentrisches Medium: Im Mittelpunkt dieses Mediums und seiner seduktiven Strategien steht der menschliche Körper in all seinen Facetten. Nun ist dies kein authentischer Körper, sondern vielmehr die idealisierte Simulation eines solchen, fest eingebunden in das inszenierte Spiel und die Montage des audiovisuellen Systems. Als Konsequenz daraus ist das Spiel der Schauspieler ebenso fragmentiert, wie die filmtechnische Apparatur deren Körper 'zerlegt’ und neu zusammensetzt: In der Montage erst entsteht die audiovisuelle Repräsentation eines menschlichen Körpers, der vom Publikum als solcher überhaupt wahrgenommen werden kann.

Sich der Problematik filmischer Körperpräsentation zu nähern, öffnet demnach unzählige Möglichkeiten, die zudem einen kompletten filmhistorischen Fokus zu berücksichtigen haben (z.B. Doane 1985). So könnte etwa die Rede sein von der Neukonstruktion des Körpers mittels Montage. Dziga Vertov brachte dieses Phänomen bereits in seinem Aufsatz „Kinoki – Umsturz“ (1923) deutlich zum Ausdruck: „Ich bin Kinoglaz, ich schaffe einen Menschen, der vollkommener ist als Adam, ich schaffe tausende verschiedener Menschen nach verschiedenen, vorher entworfenen Plänen und Schemata“ (Vertov 1998, 45). Die Montage fragmentiert also und fügt zusammen, was die Kamera zunächst auf seine mediale Funktionalität „testet“ (Benjamin 1977).

Das Publikum unterwirft sich von jeher lustvoll jenen seduktiven Strategien, die die filmische Inszenierung für sie bereithält: Seit den charismatischen Stars der Stummfilmära läuft die Verführung des Publikums über den präsentierten, konstruierten Körper. Und der simulierten Natur dieser oft makellosen Körperlichkeit vertraut der Rezipient offenbar widerstandslos: Die Körper der Stars sind die Erfüllung der Wunschträume und Utopien. Ist der Körper des weiblichen Stars meist einer der überirdischen Schönheit, wird der (identifikationstaugliche) männliche Körper mitunter zu einem militarisierten, nahezu mechanisierten Körper – oder aber zur androgynen Auflösung der Gender-Grenzen.

IV.
Der Körperdiskurs des Kinos ist zweifellos von der Geburt des Mediums an elementar für eine theoretische Beschäftigung mit dem Film. Umso erstaunlicher ist die eher sporadische Thematisierung des Körperbildes, das erst in den letzten Jahren vermehrt einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen wird. Doch während sich im englischsprachigen Bereich zahlreiche theoretische Ansätze zum Thema etabliert haben (vor allem Linda Williams, Barbara Creed, Vivian Sobchak oder Steven Shaviro), ist man in der deutschsprachigen Forschung zögerlich.
Von großem Einfluss ist noch heute Steven Shaviros von Gilles Deleuze und Felix Guattari inspirierte Monographie The Cinematic Body (1993), die als Gegenentwurf zu einer primär psychoanalytisch (und somit von Jacques Lacan inspirierten) Filmtheorie gedacht ist.

Nach Shaviro ist Filmrezeption präreflexiv und tritt hinter die symbolische Ordnung zurück. Das filmische Bild entzieht sich so der Ordnung reiner Repräsentation. Shaviro betrachtet Filmerfahrung als einen schockartigen, ansteckenden Akt, der mitunter den Körper des Rezipienten angeht, bevor sich dieser dessen intellektuell bewusst wird (Shaviro 1993, 38). Der somatische Effekt geht der bewussten Wahrnehmung voraus. Diese Vereinnahmung des unfreiwillig passiven Zuschauers gleicht einer masochistischen Disposition (Shaviro 1993, 32). Diese seduktive Strategie einer intendierten Vereinnahmung und letztlich Unterwerfung des Zuschauers unter die sinnlichen (audiovisuelle) Eindrücke appelliert an ein somatisches, körperliches Empfinden. Filmrezeption konfrontiert also nicht nur mit medialen Abbildern des Körpers, sondern zielt selbst auf den Körper des Rezipienten ab. Daher ist der Titel The Cinematic Body in dieser Vieldeutigkeit zu begreifen: als abgebildeter, mediatisierter Körper auf der Leinwand, als Körper und somatische Erfahrung des Zuschauers und schließlich als zwischen Leinwand und Zuschauer entstehender virtueller 'Filmkörper’ – mit Deleuze durchaus als „organloser Körper“ zu betrachten.

Pionierarbeit leistete in der deutschen Filmwissenschaft 1998 der Sammelband Unter die Haut. Signaturen des Selbst im Kino der Körper von Jürgen Felix, der von der These ausgeht, dass „sich das postmoderne Spiel mit Zeichen und Zuschauer erschöpft hatte, ein Referenzsubjekt neu verortet wurde: dass sich der Körper wiederum als seismographisches Instrument und möglicher Ort authentischer Erfahrung erweist – ein geschundener, gequälter, bis zur Selbstauflösung destruierter Körper.“ (Felix 1998, 9) Er kommt zu dem Schluss: „Das Kino der Körper [...] fordert zur Neubestimmung einer Filmkultur heraus, die tradierte Kategorien des Genrekinos und Autorenfilms sprengt, die sich autoreflexiv und intermedial bestimmt, im Rekurs auf klassische und moderne Vorbilder neu gestaltet, die nicht länger an das Dispositiv Kino gebunden ist und Signaturen des Selbst in den Körper einschreibt.“ Von der Virtualität des filmisch repräsentierten Körpers dagegen geht der Band No Body Is Perfect. Körperbilder im Kino (2001) aus: „Die Inszenierung von Körpern im filmischen Raum zählt zu den elementaren Kunstmitteln des Mediums. [...] Im Unterschied zur leibhaftigen Anwesenheit des Körpers beim Bühnenschauspieler ist physische Präsenz im Kino stets eine imaginäre“ (Frölich u.a. 2001, 7). Der Körper wird noch einmal als Domäne authentischer Erfahrung erkundet, bevor sich die Virtual Reality an einer „Überwindung des Körpers“ versucht (Stiglegger in Frölich u.a. 2001, 14).

V.
Im Rahmen der Seduktionstheorie des Films, die von Patrick Fuery (2000) und Marcus Stiglegger (2006) entwickelt wurde, kommt der Körperinszenierung ein bedeutende Rolle zu, denn mit dem ikonographischen Appell an das affektive Gedächtnis des Zuschauers wird eine verführerische Bindung geschaffen, die den Zuschauer durch Intensität und Sensation angeht und mit Shaviros Ansatz einer masochistischen Filmrezeption korrespondiert. Darin liegt die „corporeality of the filmic discourse“ (Fuery 2000, 71ff.) und dessen „performative Qualität“ (Stiglegger 2006, 198ff.), Phänomene, auf die später Thomas Elsaesser und Malte Hagener in ihrer Filmtheorie zu sprechen kommen, indem sie die seduktive Vereinnahmung durch taktiles Kino als „parasitär“ beschreiben (Elsaesser/Hagener 2008, 19). Auch in Wort und Fleisch. Kino zwischen Text und Körper (2008) kommt wiederum die performative Qualität des Films im Kontext des Körperkinos zur Sprache (Curtis in Nessel u.a. 2008, S. 75ff.).

In Dagmar Hoffmanns Körperästhetiken (2010) steht ein mediensoziologischer Ansatz im Zentrum. Dabei argumentiert man grundsätzlich, der Kult um den Körper sei ein Phänomen der (Post-)Moderne, der vor allem über den medialen Diskurs stabil gehalten wird. Die einzelnen Aufsätze untersuchen demnach vor allem Beispiele aus der letzten Dekade und fragen methodisch divers nach der Funktion und sozialen Basis der filmisch kommunizierten Köperbilder. Dabei werden Subtexte wie Sterblichkeit, Körperfülle, Alter und Jugend und Virtualität betrachtet.

Einen alternativen Ansatz im Kontext dieser somatischen Medientheorien bietet Thomas Morsch mit seiner Dissertation Medienästhetik des Films. Verkörperte Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung im Kino (2011). Er nähert sich der Thematik auf betont komplexe Weise in drei Schritten an: die „ästhetische Figuration des Körperlichen“, die „verkörperte Wahrnehmung – zur Medienästhetik des Films“ und schließlich „Körperlichkeit und ästhetische Erfahrung“. Dabei kommen die sehr unterschiedlichen Körperbezüge der Filmtheorie zur Sprache; zudem wird das Verhältnis von Filmtheorie und Film-Philosophie diskutiert, denn speziell in diesem Kontext und der Anwendung poststrukturalistischer Ansätze geraten die Grenzen in Fließen. Konzepte wie das punctum (Roland Barthes), der Exzess, der Masochismus des Körpers oder die Taktilität des Films werden hier ebenso wie die Performativität des Mediums betont: der flüchtige wie intensive Ereignischarakter des Filmerlebens mit seinem starken Appell an das Körpergedächtnis des jeweiligen Zuschauers.

Ivo Ritzer und Marcus Stiglegger thematisieren in Global Bodies. Mediale Repräsentationen des Körpers (2012) die Körperdarstellungen in unterschiedlichen Medien und entfalten so ein Panorama der gegenwärtigen Körpertheorie. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit oft innovativen Kulturpraktiken der körperlichen Repräsentation im Spannungsfeld von medialer Technologie, Konstruktion von Geschlechtern und Identitäten sowie kulturellen Kontexten zwischen Europa, Nordamerika, Lateinamerika und Asien. Es zeigt sich hierbei erneut eine immer stärker in den Vordergrund tretende Körperlichkeit der Medien selbst: die mediale Performanz.

VI.
Es besteht eine Dialektik zwischen der Mediatisierung des Körpers einerseits und der Körperlichkeit des medialen, im engen Sinne filmischen Bildes andererseits. Der Cinematic Body (Shaviro 1993) ist zwischen diesen beiden Polen verortet – gleichsam als Ergebnis einer Reibung zwischen Rezipient und Medium. Dieser Prozess inspirierte vor allem die von Gilles Deleuze inspirierte Medientheorie. Patricia McCormack begreift in Cinesexuality (2008) z.B. das audiovisuelle Medium als einen „organlosen Körper“, zu dem das Auge als reduziertes Geschlechtsorgan in ein sinnliches Verhältnis tritt. Dem audiovisuellen Medium selbst kommt ungeachtet seiner Phantomhaftigkeit somit eine körperliche Qualität zu: Es wird zu einem 'Cinematic Body’, dem sich der menschliche Sinnesapparat in einem quasi sexuellen Akt hingibt.

In ihrem durchaus exzentrischen Theoriemodell, das in großen Zügen den seduktiven Strategien medialer Inszenierung entspricht, plädiert MacCormack deutlich für eine performative Körperlichkeit dieser Medien (durch Textur, Licht, Schatten, letztlich alle gebotenen 'Sensationen'), die unabhängig von einer bloßen Abbildung des (menschlichen) Körpers besteht und jenseits von symbolischen und semantischen oder gar kulturspezifischen Zuschreibungen funktioniert. Dieser Ansatz kann zugleich als eine Herausforderung in der Betrachtung anderer audiovisueller Medien verstanden werden, deren Medien-Körper kulturenübergreifend weniger an eine intellektuelle Kognition, als vielmehr an ein sinnliche Rezeption der medialen Performanz appellieren. Wesentlich erscheint also die Inter-Korporealität zwischen Bildraum und Zuschauerkörper, wobei speziell der Film einen Kurzschluss von leiblicher Erfahrungsebene und phantasmatischem Imaginärem ermöglicht.

VII.
Den Medienkörper ganz unmittelbar zu simulieren unternimmt die 3-D-Simulation. Jens Schröter (2008) stellt u.a. ein Modell zur Konzeptionalisierung der Relation zwischen menschlichem Körper und dreidimensionalem Bild vor und betont, dass bestimmte 3D-Bilder wie stereoskopische Repräsentationen ein spezifisches Körper-Wissen implizieren, das aus deren apparativer Struktur resultiert. So ist die Stereoskopie dem Humankörper nachgebildet und ein Produkt der physiologischen Optik, während etwa das holografische Bild kein Wissen über den Körper voraussetzt. Wo damit die Stereoskopie als eine Ausweitung des Körpers im McLuhan'schen Sinne zu verstehen ist, nimmt die Holografie nicht den Status einer solchen Extension ein. Auch differieren Holografie und Stereoskopie in ihrem ästhetischen Effekt: Erzeugt letztere durch ihre unhintergehbare Linearperspektive der Einzelbilder nur scheinbar eine dreidimensionale Repräsentation, offeriert erstere ganze spatiale Informationen eines physischen Objekts. Von unterschiedlichen dreidimensionalen Körper-Repräsentationen werden damit auch ganz unterschiedliche Wahrnehmungsformen von generiert. Anhand von Michel Foucault macht Schröter deutlich, wie 3D-Bilder auf der Basis von Wissen über den Körper zu dessen Kontrolle nutzbar gemacht werden können. So beruhen dreidimensionale Repräsentationen nicht nur auf Körper-Wissen, sie vermögen dieses – etwa in der medizinischen Diagnostik – auch hervorzubringen. In James Camerons 3D-Produktion Avatar (2009) wird dieses Potential diskursiviert, wenn Cameron auf diegetischer Ebene des Films ein dreidimensionales Display arrangiert und damit auf Forschungstraditionen anspielt, die über räumliche Virtualisierungen auf Disziplinierungen des Körpers abzielen.

VIII.
Mit der simulierten subjektiven Körperlichkeit arbeitet vor allem die virtuelle Welt des Computerspiels. Der Blick im Sinne des „Netzhaut-Screens“ ist die Voraussetzung eines immersiven Erlebens wird. Daraus resultiert der „identifikative Modus“ des Spielers, der seinen Avatar im Spielkontext als eigenen Körper erlebt. Die Konstruktion eines virtuellen Körperavatars ermöglicht den Zugang zur virtuellen Welt, wobei die Dissoziierung von tatsächlichem Körper und Geist voranschreitet. Games verleihen der phantasierten Überwindung des zum reinen „Fleisch“ degradierten Körpers Ausdruck und ersetzen die Leiblichkeit durch Datenströme. Der Leib tritt über das Interface mit der virtuellen Welt über Visualität und minimale Haptik in Kontakt. Die herkömmliche Praxis des Gamings trägt klassische oder traditionelle Dispositive von Subjektivität und subjektiver Selbstgewissheit und damit höchst ideologische Axiome subjektiver Verfügungsmacht weiter, da der Gamer die virtuelle Welt vorrangig und in spezifischer Weise visuell erkennend erschließt. Dieser Umstand trägt zum 'Verschwinden' des Körpers in Blickwinkel des Betrachters bei. Andererseits ist das spielende Subjekt stets von Auflösung bedroht, denn es ist der virtuellen Welt immer in einer Weise verbunden, welche das Regime des Blickes zu durchbrechen in der Lage ist und an seine Stelle den Körper in seiner Ganzheit und in seiner Verbindung zur Gesamt-Kontinuität biotechnologischen Existierens setzt. Es gibt dabei die spielerische Möglichkeit und Notwendigkeit der Entscheidung sowie deren Konsequenz, den Körper zurück ins Spiel zu bringen: Der Tod eigener oder fremder Avatare will bedacht werden.

IX.
Der performative Turn des Mediums Film in seiner postklassischen Phase ist direkt mit dem Körperkino verknüpft. Paul Virilio stellte im Jahr 2000 bereits fest: „Mit dem ausgehenden Jahrtausend vollendet sich vor unseren Augen das, worin von Anfang an das Ziel der abstrakten Kunst bestand: das Ende der REPRÄSENTATIVEN oder darstellenden Kunst, an deren Stelle eine Gegenkultur tritt, eine Kunst, die nur noch PRÄSENTIERT.“ (Virilio 2001: 17) Das Kino der Postmoderne arbeitet mittels haptischer Bilder erfolgreich an einer Revolutionierung der körperorientierten Filminszenierung, indem es die etablierten Gesetze eines narrativen (somit repräsentativen) Erzählkinos nach dem Vorbild Hollywoods systematisch bricht und an die Stelle von Linearität und Psychologie die in ständigem Fluss befindliche Textur der Bilder (deren Präsentation bzw. Performanz) selbst stellt. Als Basis dienen ihm der menschliche Körper und natürliche Objekte. Das Ergebnis sind ereignisorientierte, 'haptische' Tableaus, die eine performative Qualität des Mediums über dessen narrative Funktionen stellen.
Nicht nur der grundsätzliche Körperbezug audiovisueller Medien, sondern gerade die immer präsentere Performativität dieser medialen Darstellungen belegen, dass die Körpertheorie als Teilbereich der Medienwissenschaft noch immer am Anfang einer intensiven Auseinandersetzung steht, zumal gerade die Implikationen der interaktiven Medien diesbezüglich noch schwer absehbare Neuerungen bringen werden.

Literatur:
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 1977.
Judith Butler: Körper von Gewicht. Frankfurt a.M. 1997.
Crary, Jonathan: Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century. Cambridge, Mass./London 1990.
Doane, Mary-Ann: The Voice in the Cinema. The Articulation of Body and Space. In: Movies and Methods, Vol. II. Hrsg. von Bill Nichols. Berkeley 1985, S. 565-576.
Thomas Elsaesser / Malte Hagener: Filmtheorie. Zur Einführung. Hamburg 2008.
Jürgen Felix (Hrsg.): Moderne Film Theorie. Mainz 2002.
Michel Foucault: Überwachen und Strafen, Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M. 1994.
Margrit Frölich u.a. (Hrsg.): No Body Is Perfect. Körperbilder im Kino. Marburg 2001
Günzel, Stephan (Hrsg.): Raumwissenschaften. Frankfurt am Main 1990.
Fuery, Patrick: New Developments in Film Theory. New York 2000.
Dagmar Hoffmann (Hrsg.): Körperästhetiken. Filmische Inszenierungen von Körperlichkeit. Bielefeld 2010, S. 11ff.
Marks, Laura U.: The Skin of the Film. Intercultural Cinema, Embodiment, and the Senses. Durham/London 2000.
Sabine Nessel u.a. (Hrsg.): Wort und Fleisch. Kino zwischen Text und Körper. Berlin 2008.
Ivo Ritzer/Marcus Stiglegger (Hg.): Global Bodies. Mediale Repräsentationen des Körpers. Berlin 2012.
Schroeter, Jens: 3D. München 2009.
Shaviro, Steven: The Cinematic Body. Minnesota 1993.
Stiglegger, Marcus: Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film, Berlin 2006.
Sherry Turkle: Leben im Netz. Identität im Zeitalter des Internets. Reinbek bei Hamburg 1998, S. 340-361.
Dziga Vertov: Kinoki - Umsturz, in: Franz-Josef Albersmeier (Hrsg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart 1998
Virilio, Paul: Eine gnadenlose Kunst. In: ders.: Die Kunst des Schreckens. Berlin 2001.

Veröffentlicht 5.6.2011, (c) by Marcus Stiglegger