Die Abkehr vom Bild

Ein Rückblick: 1985-1998

von Andrew King (deutsch von Andreas Plöger und Alexander Nym)

1. Andrew King. Promobild für "The Bitter Harvest". 1997

Obwohl mittlerweile vornehmlich als Musiker und Experte in Sachen Mundart- und Folk-Kultur bekannt, kamen Andrew Kings erste Berührungen mit den Post-Industrial- und Neofolk-Szenen über die bildenden Künste zustande. Als eine der in "England´s Hidden Reverse" aus dieser Szene weggeschriebenen Figuren, versucht diese Reminiszenz die Balance wieder herzustellen, Kings Entwicklung in diesen Kulturen aufzuführen, sowie seine früheren konzeptionellen Arbeiten und die Umstände, die ihn vom Bild- zum Klangkünstler gemacht haben, zu schildern.


Einleitung

Bristol war in den frühen 1990ern kein guter Ort für einen bildenden Künstler mit Interesse am Altertum, noch schlimmer, wenn dein primäres musikalisches Interesse bei Feldaufnahmen englischer Traditionals und Industrial-Noise lag.
Zuerst war da das Problem mit den städtischen Kunstgalerien: die großen - Arnolfini, Watershead etc. - interessierten sich nur für einen, wenn man schon in London etabliert war, vorzugsweise wenn man mit Brit-Art zu schaffen hatte oder es um irgendwelche "Minderheitenrechte" ging, die man hysterisch herumposaunt hat, während sich die kleineren Galerien strikt auf ethnische Arbeiten ausrichteten, mit einer merkwürdigen Auslegung des "Celebrating Diversity"-Mottos, das die Eingeborenen dieses Landes wohl nicht mit einbezog.
Dieser bedauerliche Wesenszug infizierte auch die Musikszene der Stadt. Natürlich war ich als ehemaliger Kunststudent bestens mit den selbsterniedrigenden Tendenzen der plappernden Klassen des ausgehenden 20. Jahrhunderts gegenüber dem "Dschungelfieber" (wann fand mal eine "Kunst"-Party statt, wo man nicht unfreiwillig "My Life In The Bush Of Ghosts" hören musste?), doch brachte es Bristol dabei zu einem neuen Extrem: nur schwarz war wirklich schön und wenn deine eigenen Vorstellungen andere waren, war man ein Außenseiter. Obwohl ich [an dieser Stelle] anmerken muss, dass diese ästhetische Tyrannei nicht von den Betrachteten ausging, sondern von der selbsterniedrigenden Intelligenzija, die zeigen wollte, wie trendy sie doch sei.

Damit will ich nicht sagen, dass zu dieser Zeit nichts Interessantes passierte, die ziemlich reizvolle Indie-Shoegazing-Szene wurde experimenteller und der wohl informierte und sachkundige Stab von Revolver Records sollte viele der Mitglieder von Bands wie Flying Saucer Attack, Movietone, Crescent, The Third Eye Foundation und Foehn (unter anderen) aufnehmen, doch zeichneten sich Massive Attack, Portishead und Tricky ebenfalls am Horizont ab und wurden in der öffentlichen Debatte bald synonym für das, was man "Bristol Sound" nannte und wenn du, wie ich, Teil dieser gottverlassenen Minderheit warst, die die Dance-Kultur und alles was sie repräsentierte, hasstest und den Versuchen von Criminal Justice Bill, dieser "Aneinanderreihung sich wiederholender Beats" Einhalt zu gebieten, nachfühlen konntest, war Bristol definitiv nicht der richtige Ort für dich. Nur eine kleine Auswahl von Experimental- und Neofolk-Alben, die entweder ausschließlich via Mailorder oder über lange Umwege in Läden wie Cliftons Garageland erhältlich waren, zeigten dass andere Menschen in anderen Städten gänzlich andere Wege einschlugen - Wege, die ich respektieren konnte und mit denen ich sympathisierte.

Wie bin ich nur in diese Zwickmühle geraten? Aus der Distanz von fast zwanzig Jahren kann man die fatalen Entscheidungen leichter erkennen, die in diese Sackgasse geführt haben.

Hintergrund

Obwohl meine Vorfahren eine Mischung aus Londonern, Tynesidern, Schotten und Gälern waren, bin ich im West Country und mit der stetig brodelnden Präsenz der Somerset Levels aufgewachsen. Die Volkssagen von den Märtyrern von Sedgemoor (ich lebte auf Westonzoyland), die Blüte der Perpendikulärarchitektur und die vielseitigen Mythologien von Athelney, Glastonbury und Stanton Drew waren konstante Begleiter meiner Jugend, dass ich mich folglich auf den Geist des Ortes und der "Sache Britanniens" als Rohmaterial meiner Kunst stützen sollte, war unvermeidlich, oder wäre vorherbestimmt ein besserer Ausdruck?

Das Gwent College Of Higher Education war für jemanden mit meinen Neigungen nicht gerade die naheliegendste Wahl, um seinen Abschluss zu machen, doch wurde ich zuvor von meinen anderen beiden Anwärtern abgelehnt: in Canterbury weil ich aussah und mich benahm wie ein junger Konservativer (Ich war mir nicht gewahr, dass das College immer noch mitten im Hippie-Traum steckte - auch noch 1985) und in Winchester, weil die Leiterin der Kunstgeschichte meine Bevorzugung der mittelalterlichen gegenüber der Renaissance-Kunst nicht ernstnahm. Sie entschied, dass dieser Standpunkt nur bedeuten konnte, dass ich illegale Substanzen zu mir nahm und nur auf das College aufgrund seines Rufs als Absatzmarkt für Drogen wollte. Als diese Frage fiel, antwortete ich (wahrheitsgemäß), dass meine bevorzugte Droge Tee bester Qualität sei, was ihren Verdacht nur erhärtete. Unglücklicherweise fand diese zweite Ablehnung so spät im Lauf des Tages statt, dass meine Bewerbung bei Newport als erste Wahl das Auswahlverfahren schon vorbei war und keine Plätze mehr übrig waren. Infolgedessen schrieb ich in meiner Verzweiflung an jedes College im ganzen Land, das mich noch nicht abgelehnt hatte. Ich habe vergessen, wie viele - handgeschriebene - Briefe das waren, bestimmt über 100 und als ich sie in die Umschläge packen wollte, entdeckte ich, dass ich einen mehr hatte als benötigt, kam aber bei reiflicher Überlegung darauf, dass mich Newport, anders als die andren, ja eigentlich offiziell gar nicht abgelehnt hat und schickte ihnen eine Extra-Anfrage. Ein paar Wochen später erhielt ich einen Anruf und sie teilten mir mit, dass Studenten abgesprungen waren: Würde ich unverzüglich zu einem Bewerbungsgespräch vorbeikommen?


Caerleon & Lampeter

Dieses Gespräch stellte sich mehr als Einführung - in der Mikroperspektive - in das College und seine Welt heraus, denn als formale Fragesitzung. Ich wäre beinahe zu spät gekommen, da der Ort kaum beschildert war und bog ausversehen nach links ab, was sich jedoch als die örtliche Irrenanstalt herausstellte (manch einer mag denken, dass ich dort hätte bleiben sollen), nur um meinen Fehler zu erkennen und kurz darauf völlig außer Puste am Campus anzukommen. Mein Gesprächspartner ist der kürzlich verstorbene Keith Richardson Jones (oder KRJ, wie wir ihn kennenlernen sollten), ein Gentleman , der, auf die wohlmöglich höflichste Art zugab, dass er meine Arbeit für ziemlich schlecht hielt, ich dafür Intelligenz bewies und da das im Grunde alles war, was zählte, wurde mir ein Platz und 15 Minuten zur Entscheidung angeboten. Ich habe angenommen.

Auf der Oberfläche wirkte Newport kaum wie ein geeigneter Ort für einen Landschaftsmaler wie mich, es war grausam intellektuell, streng konzeptionell und auf dem neuesten Stand der Technik der KunstVideoausrüstung und eines der wenigen Telematik-Departments der Welt (Roy Ascott war, wenn ich mich richtig entsinne, damals Leiter der bildenden Künste), doch war das nur die eine Seite der Medaille. Denn das Kunst-Department war gerade erst von dem edwardianischen Standort am Clarence-Platz in das brandneue, moderne Norman Robson Smith-Gebäude umgezogen, eine Extravaganz aus Glas und Metall, das ungestört Aussicht auf die umliegende Landschaft und seine Heimat bot, das alte und historische Dorf Caerleon-on-Usk.

Caerleon, Heimat der zweiten augusteischen Legion (Legio II Augusta) zur Zeit des Römischen Imperiums, die Hauptstadt von Arthurs Reich in Geoffrey von Monmouths "Geschichte der Könige von Britannien" und Geburtsort des sakralen, übernatürlichen Schriftstellers Arthur Machen, Autor von "The Great God Pan", "The Hill Of Dreams" und "The Great Return". An diesem Ort und im Dunstkreis dieser Kameraden war es einfach, mein tief verwurzeltes Anliegen zu verfolgen. Der Umstand, dass ich an einem wolkenlosen Tag Somerset entweder vom örtlichen Eisenzeit Fort oder aus dem antiken Wentwood sehen konnte, hat mich noch wesentlich weiter in meiner Tätigkeit bestärkt, den Geist des Ortes, das Alte und die Res von Großbritannien zu betrachten, trotz meiner zwingenden Beschäftigung mit Text, Performances, Video, Film und Installationen.

In meinem Abschlussjahr stellte ich fest, dass sich meine Arbeit vor allem in Richtung Text entwickelte - obgleich hoch gesitteten, sorgfältig konstruierten - und meine letzte, ledergebundene Abschlussarbeit "The Four Martyrs" wurde auf handgemachtem Papier aus Wookey Hole verfasst. Eine hochdiskursive, biographische Arbeit über Dr. John Dee, Erzbischof William Laud, Arthur Machen und Johny Cowper Powers, die Diagramme, Embleme und illuminierte Großbuchstaben verwendete, um gewisse westliche Formen okkulter Spiritualität einzufangen, während die begleitende Abschlusskomposition, die Installation "The Image Of Melancholy" aus einem Mikrofilm besagter Arbeit bestand, der gedämpft einen verdunkelten Korridor ausleuchtete, in dem ich barocke Theatersäulen, symbolträchtige Collagen und abstrakte schwarz/weiß Computer-Ausdrucke angebracht habe, die alle zu einer letzten Bühne führten, wo ich einen Vortrag über Cornelius Agrippas Theorien über die Rolle von dämonischer und göttlicher Besessenheit in künstlerischer Kreativität hielt, an dessen Ende die Beleuchtung umgedreht wurde, sich das Publikum umdrehte und die abstrakten Ausdrucke sich als gewaltiges, amorphes Memento Mori entpuppten. [Abb. 2]

2. "The Avthor" (das anarmorphotische Bild) im Pamphlet zu "The Image of Melancholy", 1988. Aus der Sammlung des Künstlers

Eine wichtige mit diesen Texten und Performances verbundene Arbeit war die kleine Postkarte, die mich im Abschlusskatalog repräsentierte: "A Prospect Of The West" [Abb. 3] auf der ich (in Form einer topographischen Illustration) dem "Westen" Tribut zollte, in dem ich mit dem Wort und seinen beiden Bedeutungen spielte - der spezifischen (Westliche Land) und allgemeinen (Westliche Zivilisation).

3. "A Prospect Of The West". 1988

Mit diesen Arbeiten habe ich wirklich gefühlt, dass ich alles gesagt habe, was es zu sagen gab. Ferner hatte Newport, anders als unsere konzeptionellen Zeitgenossen von Goldsmiths und dem Royal College, wenige Beiträge in der Welt der Galerien zu vermelden. Als das Englisch-Department am Saint David´s University College Lampeter mir einen Posten im Postgraduierten-Kurs "The Word and the Visual Imagination" anbot, schien es der richtige Zeitpunkt zu sein, sich mehr auf die Theorie als auf die Praxis zu konzentrieren. Die Tatsache, dass ich gleichzeitig im Herz des mythenumwobenen Wales, nahe Mabinogion, mit seinen immer noch sichtbaren Spuren keltischer Kulte um mich herum (ein Beispiel in davon ist die Mauer gegenüber eines Pub-Parkplatzes!), zu sein und in einem Gästezimmer in einem heimgesuchten Haus der örtlichen PCC [Klärung? Powy County Council?] bereicherte nur meinen ortsgebunden, kritischen Treibstoff.

Dass ich in Lampeter nur die erforderlichen 18 Monate blieb lag natürlich daran, dass meine Abschlussarbeit "A Coinage of Crisis: Stephen and the civil war and anarchy. 1135-54" zu der Zeit ihrer Fertigstellung bereits von der großartigen Forschung von George C. Boon und meiner eigenen Unfähigkeit - hauptsächlich logistischer Natur - Zugang zu dem relevanten Material aus dem kurz zuvor entdeckten "Beauvis"-Hort überflüssig gemacht wurde. Demzufolge war meine Abschlussarbeit, obwohl ich bestand, ein inkonsequentes Stückwerk mit geringem Wert und es erschien mir sinnlos diese zu einer Doktorarbeit auszubauen, die hauptsächlich aus Sekundärquellen und Schadensbegrenzung bestehen würde. Nach einem kurzen Aufenthalt zurück in Somerset entschied ich, mich Freunden in Bristol anzuschließen, was uns dorthin zurückführt, wo diese Geschichte ihren Anfang genommen hat.


Zurück zum Malen, Besuche in London, The Ghost Story Press und Current 93

Der Plattenladen "Hag" in Lampeter, dessen gewaltige Umsätze von einer beständigen Anteilnahme von verarmten und inkompetenten Studenten getragen wurden, hatte mir bereits manche der interessanten Dinge gezeigt, die in London geschahen bzw. im Moment vor sich gingen. Er zeigte mir (u.a.) "Heathen Earth" (Throbbing Gristle), "Great White Death" (Whitehouse) und das "Brown Book" (Death In June), während mein loser Kontakt zum TOPY-Ortsverband (Thee Temple Ov Psychick Youth) von Glastonbury mich Platten wie "Temporary Temple" (Psychic TV) und "The Last Supper" (Vall) näher brachte. Wie bereits erwähnt, sollte mir Garageland in Bristol ein kleinen Teil des damit verbundenen Materials zeigen und mit Veröffentlichungen wie "Swastikas For Noddy" (Current 93) und "The Sylvie And Babs Hi-Fi Companion" (Nurse With Wound), meinen regelmäßigen Besuchen in der Hauptstadt, sowie die gelegentlichen Reisen in fremde Gegenden, um die entsprechenden Bands auf der Bühne zu sehen (so wie eine scheinbar endlose Busreise nach Paris, nur um 1991 zwei Current 93 / Death In June-Konzerte in der Passage De Nord-Ouest zu sehen ), fügten sich die letzten Teile des Puzzles zusammen. Ich erkannte, je früher ich Bristol nach London verlassen würde, umso besser.

4. "A Second Prospect", 1990. Aus der Sammlung des Künstlers

Die andere Sache, die mit diesem Umzug im Zusammenhang stand, war meine Kunst. Während ich mich in den Jahren nach Newport an dem ersten von zwei Nachfolgern zu meinem "Prospect of the West" mit dem Namen "A Second Prospect" [Abb. 4] versuchte, war mein visuelles Werk in aller Absicht und Zweckmäßigkeit beendet, doch ein paar Belange nagten weiterhin an mir. Wie bereits erwähnt beinhaltete mein letztes Werk vor meiner völligen Hinwendung zum Schreiben im Jahr 1988 eine Reihe von Collagen, eine Methode, die zu ihrer Zeit dem Anspruch sicherlich genüge getan hat, doch beschlich mich der nagende Verdacht, dass sie besser ausgefallen wären, wenn ich sie selber gemalt hätte, statt sich auf Fundsachen zu verlassen. Infolge meiner Postgraduierten-Forschungen ließ ich solche Dinge für die nächsten paar Jahre ruhen, doch stieß ich Ende 1990 auf gewisse Themen, Konzepte und Ideen, meist archetypischer Natur, die geradezu nach meiner Aufmerksamkeit verlangten und zwar auf eine Art und Weise, die mich nicht in Ruhe lassen würde. In dem Bestreben diese Dilemmata anzusprechen und um nicht die früheren Tricksereien der Collagen zu wiederholen, entschloss ich zu den bildenden Künsten zurückzukehren, genauer: zum Malen. Daraufhin fand ich mich in meinen späten Zwanzigern in der Situation, die ganzen Maltechniken erneut zu lernen, meist von Anfang an, um meine Idee in die Tat umzusetzen, auf eine Weise, von der ich mir erhoffte, so viele Einflüsse meiner früheren Ausbildung wie möglich zu entfernen. Es war wie ein Dammbruch und der Wirbel schnellgefertigter, schwarz/weißer, emblematischer Kompositionen, die ich 1991 produzierte, bewies mir ein für allemal, dass wir unser unsere tiefsten kreativen Dränge zu unserem Unglück ignorieren.

5. "I. A Litany of Possessiveness", 1991. Aus der Sammlung des Künstlers

Das erste dieser Gemälde, "I. A Litany of Possesiveness" [Abb. 5] nutze eine emblematische Figur, die ich bereits in meinen früheren "Prospects" verwendet hatte: die des großen Cerne Abbas-Riesen. Doch ausgehend von seinem Mund malte ich Textzeilen der letzten Death In June / Current 93-Veröffentlichungen "to love is to lose and to lose is to die" und sendete aus Höflichkeit heraus eine Kopie des Bildes und ein paar anderer an BM Wound mit einem Begleitbrief, in dem ich meine Hoffnung zum Ausdruck brachte, die Verwendung des Zitats seie statthaft gewesen. Danach dachte ich nicht mehr weiter an diese Sache und fuhr fort, mit meiner neuentdeckten künstlerischen Freiheit zu experimentieren.

Ein paar Monate später ereilte mich ein Anruf von David Tibet, ja, die Verwendung des Zitats ginge in Ordnung und ob es denn nicht möglich sei, ihn in London zu besuchen? Da ich damals so sowieso so viel Zeit dort wie möglich verbrachte, sagte ich natürlich zu und wir trafen uns kurz darauf. Ich habe das genaue Datum vergessen, aber es müsste ungefähr Ende 1991 gewesen sein. Er kaufte die "Litany" zusammen mit zwei ihrer Begleiter, "III. A Second Litany" und "XI. The Private Hell of the Evangelical", sowie zwei getrennte Kompositionen "VII. St Johns Wort" und "X. The New Age and Her Train". Der Titel des letzteren bescherte mir eine Erwähnung in einem Death In June-Song, als David Sang "This is Not Paradise!". Dieses Treffen, und meine daran anschließenden Treffen mit anderen Leuten aus der Szene, die man mir in den nächsten fünf Jahren vorstellen sollte, zeigten mir, dass es in der Tat eine Alternative dazu gab, sich am Galerie-System von Bristol aufzureiben und dass ich damit Recht gehabt hatte, in London nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten.

6." XXVIII. A Mythological Prospect of The Citie of London", 1992-3. Aus der Sammlung des Künstlers

Nichtsdestoweniger, mein erster richtiger Auftrag von Tibet, das im Juni ´92 gemalte "XXII. Time Surprised by his Daughter Truth (I)" wurde prompt abgelehnt, da der das Gefühl hatte, die Figur der Wahrheit hatte eine unglückliche Ähnlichkeit zu Margaret Thatcher! Ich selbst konnte das nicht sehen, doch arbeitete ich damals so schnell, dass ich binnen zwei Wochen eine zweite Version erstellte, die sich als akzeptabel herausstellte. Jedoch war mein erstes Auftragscover eines Albums nicht für Current, sondern (über Tibet arrangiert) für Salomans 1992 erschienene Bevis Frond-Platte "London Stone", wo mir der Gegenstand freie Hand erlaubte, London als topographisches Bild im Stil meiner früheren "Prospects" zu konstruieren: "XXVIII. A Mythological Prospect of the Citie of London" [Abb. 6], bei dem ich den London Stone, den Kopf und Tempel des Mithras, Gog und Magog (die Riesen der [Guildhall]) und William Blake zusammen mit anderen einbaute. Überraschendeweise, nach all dieser Arbeit und obwohl ich die vereinbarte Summe ausgezahlt bekam, wurde das Bild nicht benutzt, angeblich weil die Mitteltöne offenbar nicht gut zu drucken seien, möglicherweise aber auch weil Nick am Ende Vorbehalte gegenüber dem barocken Stil des Bildes hatte. Infolge dessen wurde das Album mit einer Sepia-Fotographie des viktorianischen London auf dem Cover veröffentlicht, während man mir überließ, die nun überflüssigen Lettern vom Bild zu entfernen und es für eine spätere Verwendung beiseite zu legen. Ein Zweck, der vierzehn Jahre später erfüllen sollte, als es nicht nur das Cover eines, sondern auch der Titel der Split-Veröffentlichung des Sol Invictus / Rose Rovine E Amanti / Andrew King-Albums "A Mythological Prospect Of The Citie Of Londinium" werden sollte, die 2006 bei Cold Spring erschien und dem Auftritt der drei Bands in London im Dezember des gleichen Jahres gedenken sollte.

Nach diesem nicht verwendeten Cover, und rechnet man meine minimale Beteiligung am 1993 erschienenen Current 93-Album "Emblems: The Menstrual Years" nicht mit, die sich ohnehin nur auf die Bereitstellung der Kalligraphie des Covers beschränkte, war meine erste große illustrative Arbeit in London (ich lebte immer noch in Bristol) keine Platte, sondern für das zweite Buch von Ghost Story Press, dem Verlag von David Tibet und Richard Dalby. Genauer: "Flaxman Low, Psychic Detective" von Kate und Hesketh Prichard ("E. & H. Heron´s"). Anders als "London Stone" war das eine fest Übung in Sachen Illustration, die Herausgeber übergaben mir die exzellenten Original-Illustrationen von E.B.Minns und alles was ich anfertigen sollte, war eine Zwei-Ton-Variante des ursprünglichen Präge-Covers und ein Portrait von Hesketh Prichard. Das lief alles gut bis auf den Umstand, dass das Papier des Buchdeckels wesentlich mehr Farbe absorbierte, als ich mir erhoffte hatte, die Tinte aufsaugend und ließ Hesketh daher dunkelhäutiger erscheinen als er eigentlich war. Nichtsdestotrotz waren diese Bilder ein Erfolg und ich wurde später in diesem Jahr aufgefordert, dieses mal wesentlich umfangreicher, Frederich Cowles "Fear Walks The Night" zu bebildern. [Abb. 7]

7. Cover von Frederick Cowles: Fear Walks the Night. Ghost Story Press, 1993.


Fear Walks the Night

Dieser Band, der vierte von Ghost Story Press veröffentlichte, ist auch der meistgesuchteste. Ich würde gerne sagen aus literarischen Gründen, doch tatsächlich nur, weil "Fear Walks the Night" zum ersten mal Cowles extrem kleinauflagigen Bände "The Horror of Abbots Grange" (1936) und "The Night Wind Howls" (1938) zusammen mit der zuvor unveröffentlichten Titelsammlung beinhaltete. Daher wird das Buch von vielen gesucht und das obwohl die Qualität vieler Geschichten offen gesagt zweitklassig war. Meine Aufgabe (wie bei Pritchard) war ein Portrait für die Titelseite, sowie sechs weitere Illustrationen eigener Wahl, eine davon sollte für das Cover verwendet werden. Nachdem ich das Buch gelesen und die Qualität der Geschichten eingeschätzt hatte, entschied ich mich die Bilder in dem schwarz/weißen Stil zu zeichnen, der die verschiedenen Anthologien von Detektiv-, Mystery- und Horrorgeschichten in den 1930er Jahren geschmückt hat, jene Anthologien, die die Stärke von Odhams Press waren und in in meiner Kindheit für ein paar Penny im örtlichen Buchhandel erhältlich waren. Ich war fasziniert vom billigen Geruch "alten Papiers" und den Grand Guignol-geprägten Covern. In diesem Sinne waren die Bilder, die ich für den Cowles Band malte eine äußerste Hommage an diese (normalerweise) anonym herausgegebenen Bücher mit ihren dramatischen, gelegentlich plumpen und gewöhnlich groben Illustrationen. Ausnahmsweise hatte ich mit meinem Vorhaben Erfolg, als die wenigen Buchbesprechungen die sich damit quälten, die Bilder [überhaupt] zu erwähnen, in der Verdammung der groben, generischen Bilder einig waren. Jedoch nahm ich dies als unbeabsichtigte Komplimente auf und war im Ganzen mit meiner Arbeit zufrieden.

8. "XXXXVI. Jacobs Well", 1993. Aus der Sammlung von C. Laufenburg

In der gleichen Zeit, in der ich an dem Cowles-Projekt arbeitete, wurde ich mit meinem ersten Current-Cover für das Album "Of Ruine Or Some Blazing Starre" beauftragt, für welches nicht weniger als drei Bilder verwendet werden sollten, das bereits gemalte "XXVI. All The Kingdoms of the World in a Moment of Time", ein Auftrag von Tibet namens "XXXVIII. The Vision Of St Eustace" und das ungeplante (die Idee schien aus dem Nichts zu kommen) und mysteröse "XXXXVI. Jacbos Well" [Abb. 8].

9. "XXXXIV. How the Great Satanic Glory Faded", 1993. Aus der Sammlung von Chris Mattingly

Das Album war nicht vor dem folgenden Jahr geplant und das letzte der Gemälde wurde im November 1993 fertig, daher war ich enttäuscht, als Tibet im Frühjahr 1994 beschloss, sie durch Bilder seines neuesten toten Lieblingskünstlers Charles Sims zu ersetzen. Letztendlich wurden die drei Bilder dennoch verwendet, wenngleich in untergeordneten Positionen in der CD-Ausgabe, doch nur "All The Kingdoms of the World" schaffte es auf die LP-Pressung. Ich war unbefriedigt, mir aber dennoch bewusst, dass der "mit der Flöte in der Hand den Ton angibt", schluckte meinen Stolz herunter und fuhr mit meiner Arbeit fort. Unglücklicherweise war das ein Muster, das dazu bestimmt war, sich zu wiederholen. Zwischen "St Eustace" und "Jacobs Well" arbeitete ich an einem anderen Auftrag, diesesmal für die 12" "Tamlin" über drei Monate lang - in ständigem Austausch mit Tibet, entweder via Telefon oder direkt bei Besuchen in London - an etwas, was ich bis zu diesem Zeitpunkt als mein Magnum Opus bezeichnen würde - "XXXXIV. How the Great Satanic Glory Faded / She Is The Night / Tamlin / The Queen Of Elfin" [Abb. 9], dass unbeabsichtigt wieder einem bereits toten Künstler weichen musste, ist eine pathetische Geschichte, die es Wert ist, erzählt zu werden.

Christies Auktion von Wasserfarben-Bildern und Zeichnungen von Austin Osman Spare in South Kensington 1994 ließ die großen und fiesen der Londoner Okkultgesellschaft unter ihren Steinen hervorkriechen, dort traf ich mich mit Tibet und John Balance zu einer Besichtigung des zu Versteigernden, danach packten wir die Gebotskarten und trabten in den Auktionsraum. Balance war in guter Form, bot immer weiter und gewann ein paar schöne Bilder, Tibet nahm auch ein paar und kurz vor Ende der Auktion wurde ein ziemlich mieser Versuch namens "Arboreal Cult" angeboten, an dem niemand interessiert schien. Tibet fragte sich, ob es sich lohnen würde, worauf ich "Warum nicht?" antwortete, "es wird wahrscheinlich für weniger als 200 Pfund weggehen". Das tat es auch (zumindest ungefähr, der exakte Preis ist mir entfallen) und wurde eine der Erwerbungen, die wir anschließen bei einem privaten Treffen bei Balance und Sleazy feierten.

Wenige Wochen später war mir nicht nach feiern, als sich abzeichnete, dass dieser zweitklassige Spare meine sorgfältig angefertigte Auftragsarbeit vom Cover der 12" verdrängen würde. Bezüglich der Sims-Bilder, die auf "Of Ruine" verwendet wurden, konnte ich das noch nachvollziehen, sie waren späte, beeindruckende Arbeiten, "Spirituals", die kurz vor seinem Tode angefertigt worden waren. Wenn ich also die zweite Geige nach einem toten Künstler spielen sollte, war die Konkurrenz hier wirklich gut. Doch nicht einmal der geneigteste Bewunderer von Spare hätte "Arboreal Cult" als große Arbeit angesehen und da ich unwillentlich diese Verbannung selbst auf den Weg gebracht hatte, brachte zur Verletzung auch noch Ehrenkränkung. Infolgedessen war "How the Great Satanic Glory Faded" mit der Ausnahme der beiden "Vanitas"-Portraits (zu denen ich später kommen werde) meine letzte Auftragsarbeit von Tibet und das letzte meiner Bilder, das von einem Current 93-Cover prangen sollte.

 

10. Cover von Harvey Peter Sucksmith: Those Whom the Old Gods Love. Ghost Story Press, 1994.


Those Whom The Old Gods Love

Trotz der Ereignisse rund um "Of Ruine" und "Tamlin" fertigte ich Anfang 1994 eine weitere Reihe von Illustrationen für The Ghost Story Press an, doch wo ich (entgegen äußerer Kritik) mit meiner Arbeit an "Fear Walks the Night" zufrieden war, kann das gleiche über meine Beiträge zu Harvey Peter Sucksmiths "Those Whom The Old Gods Love" [Abb. 10] nicht gesagt werden. Es handelte sich um eine zeitgenössische Sammlung, im gleichen Maße exaltiert, anspruchsvoll und beieindruckend wie Cowley Geschichten auf der anderen Seite langweilig und nicht weiter bemerkenswert waren. Nach dem ersten Lesen entschied ich, dass die einzigen den Geschichten angemessenen Illustrationen richtige Gemälde in meinem Stil sein sollten, nicht Parodien anderer Anästze und beantragte unverzüglich, dass man mir erlaubte für jede der zehn Geschichten ein Gemälde anzufertigen. Indem ich das tat, wollte ich meinen Respekt für die meiner Meinung nach sehr wichtige Sammlung ausdrücken und wenn ich kurz darauf weit hinter meinen Absichten zurückgeblieben bin, muss entschuldigend gesagt werden, dass das teilweise an meinen sehr hohen Zielen lag, aber auch weil die Umstände gegen mich arbeiteten.

Als jemand, der kürzlich zu den bildenden Künsten zurückgekehrt war, war ich mir der Einschränkungen als [entspannter?] Künstler bewusst, war es für mich bereits offensichtlich, dass ich über wenig technisches Talent zum Berufsillustrator hatte, doch wusste ich, so ich genug Zeit haben sollte, dass ich, selbst wenn ich an paar Sackgassen geräten würde, am Ende dazu in der Lage sein würde, eine Reihe von Bildern für Sucksmiths Buch anzufertigen, die dessen Anspruch auch gerecht würden. Mit dem Bild für die sechste Geschichte "The Carving Over the Fireplace" über den Geisterjungen auf dem Schaukelpferd, begann alles vielversprechend, nicht gut genug, dass ich es zu der ersten Reihe meiner Bilder zählen würde, doch gut genug, um die Beschaffenheit der Geschichte einzufangen. Doch dann kam ich ernstlich ins Stocken, mit zwei unbeholfenen Versuchen für die ersten beiden Geschichten: ein bemitleidenswerter, unbeholfener Versuch für "Any More Ghost Stories For Me?" und ein peinliches Portrait von Odin, das selbst D&D-Illustrationen unterbot, für die Titelgeschichte des Bandes! In beiden Fällen war das Problem das gleiche, in meinen Jugendjahren war ich ein Meister im Figurenmalen (Ich sehe mir auch heute noch alte Zeichnungen an und schüttle ungläubig den Kopf, so selbstsicher war seinerzeit meine Fähigkeit mit Perspektive und der menschlichen Gestalt zu spielen) doch drei Jahr konzeptioneller Kunst und zwei Jahre Auszeit haben mein Können verkommen lassen. Und als ich mich zwei grundlegenden klassisch-darstellenden Bildern gegenübersah, fand ich heraus, dass ich die grundlegendsten Zeichnerfertigkeiten verloren hatte. Das Ergebnis war beschämend, weniger besser als von einem Zwölfjährigen.

Dieser Erkenntnis war für mich ernüchternd, doch im Bewusstsein, dass es bei dem Buch keine Eile gab, tröstete ich mich mit dem Wissen, dass ich genug Zeit haben würde, die beiden zu überarbeiten. Ich ließ folglich von ihnen ab und nahm malte in weniger als zwei Monaten die nächsten vier Illustrationen, von der ich jede (entweder vollständig oder beschnitten) für so gut befand, dass ich ihnen ein Platz unter meinen wichtigen Bildern zugestehen konnte. Das erste, für die Geschichte "The Infernal Machine" war im Grunde nichts anderes als eine adäquate Auftragsillustration, doch habe ich in der Illustration ein getrennten Gemälde von Diana und Actaeon untergebracht, das ich als besser als alles zuvor von mir gemalte empfand. Nachdem das Bild für die Publikation gescannt worden war, entfernte ich dieses innere Bild und reihte es unter der Nummer "XXXXVIII. Diana and Actaeon" in meinen Schaffenskanon ein. [Abb. 11]

11. "XXXXVIII. Diana and Actaeon", 1994. Aus der Sammlung des Künstlers

Die nächste Illustration war in diesem Punkt noch gelungener, wie es auch vollständig den "Spectre of the Brocken" aus der Geschichte "The Silver Horn" veranschaulichte und einen komplett anderen Gegenstand portraitierte, über dem ich für einige Zeit gebrütet habe, namentlich die Idee einer alles durchdringenden Kraft "des Geliebten". Aus diesem Grund nannte ich es bei der Nummerierung "IL. The Romantic Impulse" [Abb. 12]. Die letzten beiden, aus meiner Sicht weniger gelungene Stand-Alone-Arbeiten, doch immer noch gut genug für das Buch, waren für die Geschichte "Adders And Serpents, Let Me Breath Awhile!", die ich in "L. Dr. Faustus" (diese war, wenig überraschend, eine von Balances Favoriten) umgetauft hatte und "The Man Who Translated An Unknown Language" das zu "LI. The Nightmare" wurde. An diesem Punkt musste ich die Serie ruhen lassen, da ich meine erste eigenständige Ausstellung nach dem College betreuen musste: "The Return To Image" im Bury Museum & Art Gallery in Manchester.

12. "IL. The Romantic Impulse", 1994. Aus der Sammlung von Paul Cheshire

I had chosen this title because I saw this retrospective as an opportunity to link my pre-college work with my post 1990 opus, and because I also believed it gave a way of separating this new work from the previous six years (1985-1990) conceptual activities. I stayed in Manchester with my friend the artist and production designer Claire Bosworth, who had secured the exhibition for me and was also exhibiting in a separate room at that time. Technically this should have been my big entry back into exhibiting and a lot of hard work went into preparing and organising it, but it wasn't to be. Sadly tragedy struck, with the sudden death of my beloved grandmother, and I dropped the preparations to be with my family in the West Country.

Ich wählte diesen Titel, weil ich diese Retroperspektive als Gelegenheit sah, meine Arbeit vor dem College mit dem nach 1990 zu verbinden und weil ich glaubte, und weil ich annahm, dass es ein Weg zur Trennung zwischen dieser neuen Arbeit und meinen vorhergehenden, konzeptionellen Aktivitäten (1985-1990) sein würde. Ich blieb mit einer Freundin, der Künstlerin und Produktionsdesignerin Claire Boswort, in Manchester, die die Ausstellung für mich klargemacht hatte und in einem anderen Raum zur selben Zeit ebenfalls ausstellte. Technisch gesehen hätte das mein großer Einstieg zurück zum Ausstellen werden sollen und ich investierte viel harte Arbeit in die Vorbereitung und Organisation, doch so sollte es nicht kommen. Leider traf mich mit dem Tod meiner geliebten Großmutter eine bitte Tragöde und ich ließ meine Vorbereitungen liegen, um bei meiner Familie im West Country zu sein. Dann kam ein zweiter Schlag: Sucksmiths Gesundheit hatte sich ernsthaft zum schlechteren gewendet und so rief mich Tibet an und flehte mich an, die Bilder fertigzustellen, damit das Buch noch veröffentlicht werden könnte, während der Künstler am Leben war. Obgleich ich von der Trauer erschlagen war, hatte ich großen Respekt vor Sucksmiths Arbeit und stimmte dem vorbehaltlos zu. Folglich verbrachte ich die Woche der Beerdigung mit der Arbeit an der Vorder- und Rückseite des Buches, versuchte die beiden Fehlschläge zu korrigieren und entwarf die verbliebenen drei Bilder. Dabei war ich nur teilweise erfolgreich, nämlich beim Buch-Cover und der Illustration für "The Boat Of The Dead", von denen das letzte Bild mir als zu spezifisch für seine Geschichte erschien, um es als bloße Illustration gelten zu lassen. Das Bild für "At The Bridge" mit seiner Geschichte rund um den englischen Bürgerkrieg war für seinen Zweck in Ordnung. Anders verhielt sich das mit der Buchrückseite, der Illustration für "Ape Island" und die beiden unfertigen Bilder - die waren entweder zweitklassig oder jenseits der Müllhalde und es schmerzte mich, sie zur Veröffentlichung freizugeben. Irgendwie schaffte ich es in dieser Situation eine Hommage an meine Großmutter zu fertigen, indem ich zu ihrem Gedächtnis "LII. The Angel that Laments the Personal Passion of All Created Matter" malte und besuchte sogar den Auftakt der Bury-Ausstellung, doch waren meine Kräfte verbraucht und ich nicht in der Lage, sie großartig zu bewerben. Das einzige gute war, dass sich Sucksmiths Gesundheit zunehmend aufrappelte und es war für uns alle, Richard Dalby, Tibet, Kat (Tibets Freundin) und mich, eine große Freude, als wir ihn und seine Frau noch im selben Jahr besuchten, um die Nummerierung und Signatur der Bücher vorzunehmen. Für mich haftete diesem glücklichen Ereignis der Makel an, dass mindestens vier meiner Bilder unterdurchschnittlich waren und wirklich nicht in der Veröffentlichung hätten verwendet werden sollen.

Die letzte Ghost Story Press-Veröffentlichung mit meiner Beteiligung war die 1995er Auflage von L.A. Lewis´ "Tales Of The Grotesque", ein wirklich verstörender Band und, zusammen mit Sucksmith, einer der Höhepunkt der Reihe. Doch für diesen Band hatte ich noch weniger zu tun als für "Flaxman Low", handelte es sich doch nur um eine Nachahmung des ursprünglichen Buchumschlags, der als Deckblatt für den neuen Band verwendet werden sollte, nachdem Stapleton es auf sich genommen hatte, das neue Cover zu malen und das auch noch sehr gut. So verließ ich Ghost Story Press mit einem sprichwörtlichen Winseln.


Andere Gelegenheiten und schließlich nach London

Obwohl Arbeitsangebote von Tibet seltener wurden, taten sich andere Gelegenheiten auf und als ich (zu meiner eigenen Überraschung) erfolgreich eine Stelle im Austausch für Klassische Musik im Music & Video Exchange von Notting Hill erhalten hatte, kappte ich meine Bande mit Bristol und zog mit meinem Rucksack auf dem Rücken in Richtung Hauptstadt. Die ersten paar Wochen verbrachte ich damit, bei Freunden auf dem Boden zu schlafen, hörte aber bald von Kat, dass einer ihrer Freunde, Andrew Trail (früher Teil der Industrial-Band The Ministry Of Love aus Sydney, in London bei Autogeddon, Knifeladder und aktuell Black Light Ascension) einen neuen WG-Mitbewohner brauchte. Ich packte die Chance am Zopf und fand mich bald in einem musikalisch-kreativen Umfeld am York Way Court (Kings Cross) wieder. Ferner hatte Tibet, der abseits meiner Weiterempfehlung an Nick Saloman, immer sehr besitzergreifend im Bezug auf seine Künstler gewesen war (z.B. wenn du für Current Kunst machen wolltest, durftest du für keine anderen szene-verwandten Bands Artworks beisteuern), unerwarteterweise zwei Gruppen vorgeschlagen, für die ich arbeiten könnte. Die erste war W.I.L.L.I. Staschs und Rose Kasseckerts Ernte, Nummer Zwei war Tony Wakeford.

13. "LXIII. Ernte", 1995. Aus der Sammlung von Ernte

Die Illustration für "LXIII. Ernte" [Abb. 13] war ein kleines emblematisches Bild mit mehr als nur einer Verneigung vor John Yunge-Batemans atmosphärischen Illustrationen für "A Pad In The Straw" (1952), einem Sammelband übernatürlicher Geschichten von Christopher Woodforde. Ein wundervolles, sonderbares Bändchen, das durch die Tatsache, dass seine offensichtlich total harmlosen Geschichten in dieser weniger unschuldigen Zeit den Beigeschmack der Knabenliebe haben, nur gewinnt! Unglücklicherweise hat das lange herbeigesehnte Ernte-Album noch immer nicht das Licht der Welt erblickt, so wurde auch das Gemälde noch nicht benutzt - aber die Hoffnung stirbt zuletzt! Mein Dank an W.I.L.L.I. und Rose, die mir gestatteten es in dieser Reminiszenz abzudrucken. Der andere Vorschlag sollte sich hingegen als wesentlich produktiver herausstellen. Es begann an einer unserer nachmittäglichen Trink-Sessions mit Tony - den ich seit den frühen 1990ern kannte - im (traurigerweise nicht mehr bestehenden) Kings Head in China Town als Tibet auf einmal Tony vorschlug, dass ich für ihn ein paar Covers malen sollte! Ich glaube dieser Vorschlag hat Tony so sehr überrascht wie mich, nachdem er mit Tor Lundvall und Enrico Chiarparin bereits über zwei Künstler verfügte, doch nahmen wir diesen Vorschlag als Ausgangspunkt und aus dieser Diskussion entwickelten sich dann Ideen für das Artwork von "Cupid And Death" [Abb. 14].

14. "LXV. Cupid And Death", 1995. Auf dem Cover von Tony Wakefords 1996 veröffentlichten Album verwendet

Wie kam dieser unerwartete Wandel der Beziehung, dass man mir plötzlich gestattete, mit anderen Bands zusammen zu arbeiten, zustande? Möglicherweise aufgrund des Kampfes mit der Fertigstellung des Sucksmith-Bandes , doch eine andere wahrscheinliche Sache, die nicht half, war sein letzter Auftrag bevor ich nach London zog - die beiden bereits erwähnten "Vanitas"-Portraits. Diese Bilder, beeinflusst von Renaissance- und Barock-Modellen, sollten emblematische Portraits von Tibet und Kat werden, jeder von Inschriften, Artefakten und Mementos umgeben, die ihre Gedanken, Interessen und ihren Charakter repräsentierten. Aufgrund der Komplexität meine wohl abenteuerlichste Auftragsarbeit. Ich begann mit dem für Tibet und fertigte die erste Version binnen einer Woche Anfang August 1994 an, war mit dem Ergebnis zufrieden, kopierte es und schickte die Kopie an Tibet. Zu meiner Überraschung war er mit dem Portrait nicht glücklich, es war auf drastische Weise falsch, es schien ihm einfach nicht richtig. Das fertige Bild wurde einmal mehr kopiert und nach London gesandt. Am nächsten Tag erhielt ich einen besorgten Anruf von ihm, der irgendwie folgendermaßen verlief - "King, hast du von diesem Kindermörder gehört, der Säuglinge erwürgt und ihre Leichen in Mülleimern zurücklässt?" "Nein! Warum?" "Naja, so lässt du mich aussehen!" - so ging es das Jahr weiter. Ich sollte das Bild nach seinen Beschreibungen korrigieren, er würde nach mehr Änderungen fragen, ich erneut korrigieren und es sollte bis Februar des folgenden Jahres dauern, bis er schlussendlich mit meiner Arbeit zufrieden war. Ironischerweise habe ich eine Kopie jeder Version des Bildes behalten und die Finalversion ist augenscheinlich mit der ursprünglichen identisch. Wir hatten uns sieben Monate im Kreis bewegt! [Abb. 15]

15. "LXVII. A Vanitas – DT", 1994-5. Photokopie aus der Sammlung des Künstlers

Im Vergleich war das Portrait von Kat [Abb. 16] so unproblematisch wie Tibets kompliziert war und ich brauchte nur zweieinhalb Wochen im August / September 1994, gefolgt von einem einzigen Tag für geringfügige Veränderungen im darauffolgenden Jahr. Nichtsdestotrotz, ich hatte stets das Gefühl, die ursprüngliche Version wäre ein wenig unausgegoren im Vergleich mit dem anderen Portrait und verbrachte im ausgehenden Jahr 1996 vier Tage mit dessen Korrektur, obwohl die persönliche Konstellation um das Bild wesentlich anders war, da sie und ich damals ein Paar waren.

16. "LXVIII. A Vanitas – K", 1994-6. Photokopie aus der Sammlung des Künstlers


ON, The Bitter Withy und meine Schlüsse

Obwohl das 1996 erschienene "Cupid And Death" meine erste Kollaboration mit Tony darstellte, im nächsten Jahr von meinem Coverdesign für L´Orchestre Noir´s "Cantos" und später von meinem von M.R. James beeinflussten "LXXVIII. The English Garden Maze (Hostanes Magus)" gefolgt, das sich im CD-Boden von "In A Garden Green" (1999) wiederfinden sollte, war die Veröffentlichung mit dem weitreichendsten und profundesten Effekt auf meine weitere Entwicklung die CD und das Magazin "ON - The World And Everything In It" (1996).

17. "XXXVI. Judith Rising Triumphant from the Ruins of Dresden", aus einer privaten Sammlung

Zu dem Magazin hatte ich bereits einen Artikel namens "Night´s Dreaming Echoes: Folk Ritual in Purcell´s Fairy Queen" und die Text-Komposition "Two Harbingers" beigetragen, die die beiden auf Lucas Cranach aufbauenden Gemälde begleiteten: "XXXVI. Judith Rising Triumphant from the Ruins of Dresden", eine "Rekonstruktion" von Cranachs verlorener "Judith" , 1993 gemalt [Abb. 17] und "LXIV. Juditha Triumphans" von 1995. Da Tony wusste, dass ich seit 1994 Feldaufnahmen britischer Mundart gemacht habe, fragte er mich, ob ich eine meiner dokumentarischen Aufnahmen zu der beiliegenden CD beisteuern wollte. Für mich war die Entscheidung einfach, es würde eine Aufnahme meines örtlichen Mayday-Brauchs werden, dem Minehead Hobby Horse, doch konnte ich es nicht veröffentlichen, bis ich die Genehmigung der Teilnehmer eingeholt hatte. Nun wird jeder, der mit dokumentarischen Aufnahmen zu tun hat mit den anhängenden Problemen vertraut sein, die Genehmigung von einer verstreuten Gruppe von Menschen einzuholen und das in einer Zeit, in der Mobiltelefone nicht alltäglich waren. Doch nach ein paar falschen Fährten fand ich letztlich die Gruppe, von der ich dachte, dass ich sie aufgenommen hätte, nur um darauf einen Monat damit zu verbringen, die Anrufe des jeweils anderen zu verpassen und Nachrichten auf den Anrufbeantwortern zu hinterlassen.

Unglücklicherweise hatte ich in dieser Zeit weniger als eine Woche Zeit, bis die CD gemastert werde sollte - die Zeit lief mir davon! Widerstrebend erkannte ich, dass es unwahrscheinlich war, rechtzeitig zum Mastering die nötige Genehmigung zu bekommen, doch gleichzeitig war ich nicht willens meinen Platz auf der Compilation abzusagen. In meiner Verzweiflung fasste ich meinen ganzen Mut und stürmte mit einem Mikrofon bewaffnet in das Badezimmer (es war der stillste Raum mit der besten Akustik) während Andrew Trail mich mit seinem analogen 4-Spur-Recorder auf eine Chrom-Kassette aufnahm, sang ich diese älteste und seltsamste Ballade "The Bitter Whity" , immer und immer wieder, bis wir einen Take hatten, den ich schließlich passend fand. Tony konnte seine Überraschung nicht verbergen, nach dem ich ihm erzählte, wer der scheinbar uralte Grummler auf der Aufnahme wirklich war, stimmte zu, den Track auf die Compilation zu packen. Allerdings war seine Überraschung nichts im Vergleich zu der meinen, als World Serpent nach Veröffentlichung des Magazins ein Album mit Traditionals aus meiner Feder in Auftrag gaben!

18. "LXXI. The Bitter Harvest", 1997. Im Kontext des Album-Covers (1998)

Ich habe stets zugegeben, dass mein erstes Album "The Bitter Harvest" [Abb. 18], 1996 begonnen und nicht vor 1998 fertiggestellt, in der Rückschau ein Lehrlingsstück war und es sollte bis zum Nachfolger "The Amfortas Wound" (das erst 2003 veröffentlicht wurde) dauern, bis ich meine Singstimme wirklich gefunden hatte und eine Richtung fand, ich in die ich gehen wollte. Doch wäre letzteres Album nicht ohne den Eifer und die Nachforschungen für ersteres möglich gewesen und dieses Album wäre ohne die eigenartige Ballade, die ich ich atemlos im Klo von Kings Cross aufgenommen habe, um die Compilation-Deadline einzuhalten, ebenfalls nicht möglich gewesen. Mit "The Bitter Withy" habe ich den Wandel weg vom Künstler, der für die Bücher und Platten anderer Leute designte, hin zu einem Künstler, der für sich selber entwarf, vollzogen, auch wenn ich noch lange selber dachte, dass ich zu aller erst ein Künstler war, der zufällig ein Album aufgenommen hat, weniger als das, was ich später werden würde: ein Sänger, der seine eigenen Cover malen kann, doch hatte die Abkehr vom Bild mit "The Bitter Whity" seinen Anfang genommen.

Danksagung
Matt Smith für Hilfestellung zum Bristol-Abschnitt
Andrew Trail für Informationen über seine früheren Bands
Aida Faram für die Überprüfung der spanischen Rechtschreibung
Lloyd James für das Scannen der Bilder und Illustrationen
C. Laufenburg, Chris Mattingly, Ernte, Paul Cheshire und einem anonymen Sammler für die Erlaubnis Bilder aus ihrer Sammlung nachzudrucken, und an Marco Deplano für das Gegenlesen dieses Artikels und konstruktive Kritik

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Anhang I – Gruppen- & Einzelausstellungen 1988-2006

I. Einzelaustellungen

1988: The Image of Melancholy Gwent College, Caerleon: Performance & Installation
1989: Gregynog Hall, Powys, University of Wales Colloquium: Video & Präsentation
1989: Gregynog Hall, Powys, University of Wales Colloquium: Video & Präsentation
1994: The Return To Image Bury Museum & Art Gallery, Manchester: Bilder
1995: Meadow Street Gallery, Weston-Super-Mare: Bilder
2005: How to Placate Spirits: Alchemical and Emblematic Bilder Germ Books + Gallery,L.L.C.,
Philadelphia, Pennsylvania: Bilder & Musik-Performance
2006: False True lovers Counter Media, Portland, Oregon: Bilder & Music-Performance

II. Gruppenausstellungen

1986: Toulouse Bienniale of Media & Telematics: Video
1987: Sheffield Media Show, Sheffield University: Video & Präsentation
1987: The Slade Media Show: Video
1988: Queens Arcade Gallery, Cardiff: Video
1988: BP Expo Riverside Studios: Video & Film
1991: Passionage Tobacco Docks Arcade, London: Bilder
1992: Coopers Gallery, Bristol: Bilder
1993: Coopers Gallery, Bristol: Bilder
1996: Kensington & Chelsea Artists Exhibition: Bilder
2002: Hoxton Distillery, London: Bilder, Texte & Musik-Performance

Anhang II – Veröffentlichte Illustrationen, 1991-2008

I. Ghost Story Press

1993: K & H Prichard Flaxman Low,Psychic Detective [Zweiton-Cover & Portrait Buchtitel]
1993: Frederick Cowles Fear Walks the Night [Cover, Portrait Buchtitel & 6 Illustrationen]
1994: H. P. Sucksmith Those Whom The Old Gods Love [Cover & 10 Illustrationen]
1995: L. A. Lewis Tales Of The Grotesque [Buchtitel]

II. Tonträger

1993: Flying Saucer Attack Wish / Oceans [FSA: 7”, Kalligraphie]
1993: Current 93 Emblems: The Menstrual Years [Durtro: Dbl CD, Kalligraphie]
1994: Current 93 Of Ruine Or Some Blazing Starr [Durtro: CD/LP, 3 bzw. 1 Illustrationen]
1994: Current 93 Tamlin [Durtro: CD/12”, 1 Illustration]
1996: Tony Wakeford Cupid And Death [Tursa: CD, Cover, Design auf Tonträger wiederholt]
1996: Various Artist: ON - The World And Everything In It [Tursa: CD & Magazin, 3 Illustrationen]
1997: L’Orchestre Noir Cantos [Tursa: CD, Cover, Design auf dem Tonträger wiederholt]
1998: Andrew King The Bitter Harvest [Epiphany: CD, Cover & andere Gestaltung auf dem Tonträger]
1999: Sol Invictus In A Garden Green [Tursa: CD, 1 Illustration]
2003: Andrew King The Amfortas Wound [Athanor: CD, Cover und 3 zusätzliche Illustrationen]
2004: Andrew King The Harbinger of the Decaying Mind [Old Europa Café: 10”, Cover]
2005: Changes / Andrew King [S/t] [Terra Fria: CD, 2 Illustrationen als Teil des Komposit-Covers]
2006: Sol Invictus / Rose Rovine / Andrew King A Mythological Prospect [Cold Spring: CD, Cover & Tonträger]
2008: The Triple Tree Ghosts [Cold Spring: CD, Cover]