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Ästhetik der Auflösung
Anmerkungen zum Einfluss der Industrial-Culture auf
das japanische Kino
von Marcus Stiglegger
Industrialmusik bietet Dokumente auditiver Destruktion:
Tonspuren nahezu physisch wahrnehmbaren Lärms, kaum Struktur, kaum
Variation, nur auditiven Schmerz. Der förmlich anti-musikalische,
bruitistische Klang der Industrialmusik der späten siebziger Jahre
demaskierte das „wahre Gesicht“ des industriell-technisierten
Lebens. Die Vorreiter der Industrial-Welle, Throbbing Gristle, S.P.K.
und NON, adaptierten Strategien der modernen Avantgarde-Bewegungen, verwendeten
„noisige“ Klänge (abgeleitet von dem atmosphärischen
Rauschen white noise) und an den bruitismo des Futurismus erinnernde Maschinenrhythmen.
Der Australier Graeme Revell von S.P.K. z.B. benannte sein späteres
Label „musique brut“, und die spanischen Rhythmusprimitivisten
Esplendor Geometrico gaben sich ihren Namen nach Filippo Tommaso Marinettis
Gedicht „Esplendore géométrico e mécanico“.
Atonale Klangstrukturen wurden aus der Neuen Musik , Improvisationsstrategien
aus dem Freejazz importiert, wobei konkret „jazzige“ Elemente
nur selten Eingang in die Industrial Musik gefunden haben .
Aber auch ein performativer Aspekt gehört zum Wirken
der frühen Industrialformationen: „Die Auseinandersetzung mit
gesellschaftlich tabuisierten Themen wie Perversion, Gewalt und Tod gehörte
zu den wesentlichen Merkmalen der Industrial Culture, die Ende der siebziger
Jahre als avantgardistische Strömung gezielt vorgegebene künstlerische
Grenzen durchbrach. Die Darstellung einer verdrängten Wirklichkeit
wurde als Teil einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen wie auch
mit inneren psychischen Strukturen verstanden, die sich letztlich gegen
die systemtragenden Mechanismen der medialen Manipulation von Bewusstsein
und Bedürfnissen richtete“, schreibt Wolfgang Sterneck in der
Kulturzeitschrift Ikonen. Er führt diese künstlerische Ströumg
vor allem auf Antonin Artauds Konzept eines „Theaters der Grausamkeit“
zurück: „Artaud zufolge kann das Theater ‚erst dann wieder
es selbst werden, wenn es dem Zuschauer der Wahrheit entsprechende Traumniederschläge
liefert, in denen sich sein Hang zum Verbrechen, seine erotischen Besessenheiten,
seine Wildheit, seine Trugbilder, sein utopischer Sinn für das Leben
und die Dinge, ja sogar sein Kannibalismus auf einer nicht bloß
angenommenen und trügerischen, sondern inneren Ebene Luft machen.
Das Theater muss durch alle Mittel ein Infragestellen nicht nur aller
Aspekte der objektiven Außenwelt, sondern auch der inneren Welt
erstreben.‘ Es bedarf nur eines Austausches des Begriffs des Theaters
mit dem der Musik und die Ausführungen entsprächen einer charakteristischen
Beschreibung des Selbstverständnisses einer Industrialband.“
Bereits 1979 hatte die Londoner Performance-Formation Throbbing Gristle,
entstanden aus der durch obszöne Happenings (Ausstellung von Monatsbinden,
Verzehren von Erbrochenem) berüchtigten Aktionskunstgruppe COUM-Transmissions
, mit ihrer LP 20 Jazz Funk Greats von sich reden gemacht, die auf dem
Label „Industrial Records“ erschienen war und „noisige“
Klangcollagen mit zum Teil rhythmischer Struktur präsentierte. Auf
dem Cover ist eine Gruppe junger Leute (die vier Musiker) zu sehen, auf
einer idyllischen Wiese lachend um eine nackte Frauenleiche versammelt.
Versatzstücke der Popmusik wurden dabei mit einem trügerischen
„Heile Welt“-Gestus kombiniert: „Wir sind nicht an der
Musik als solcher interessiert, wir interessieren uns für Informationen.
Die Macht über diese Welt liegt im Grunde in den Händen derjenigen,
die Zugang zur größtmöglichen Information haben und diese
Information kontrollieren. All die Paranoia, die durch Politik ausgelöst
wird, resultiert fast ausschließlich aus der Frage, was denn nun
wirklich abläuft, was geheim bleibt, worüber man uns nichts
sagt...”, sagt Gründungsmitglied Genesis P-Orridge.
Der Name des Labels Industrial Records entstammt einem Ausspruch
des amerikanischen S/M-Performers Monte Cazazza: „There’s
an irony in the word 'industrial‘, because there’s the music
industry. And then there’s the joke we often used to make in interviews
about churning out records like motorcars – that sense of industrial.
And...up till then the music had been kind of based on the blues and slavery,
and we thought it was time to update it to at least Victorian times –
you know, the Industrial Revolution. [...] And then Monte Cazazza was
the person who suggested the slogan 'Industrial Music for Industrial People‘.“
Verbreiten konnte sich diese Musikrichtung – Stil läßt
sich angesichts der gestalterischen Willkür kaum sagen – vornehmlich
auf in Hochindustrieländern gegründeten Labels wie „Industrial
Rec.“, „Susan Lawly“, „Mute“ (GB), „Tesco“,
„Steinklang“, „Loki“ (BRD) und selbstverständlich
auch in den USA und Japan sowie mit Einschränkungen in Italien und
Spanien, später durch „Cold Meat Industries“ auch in
Schweden. Gemeinsam ist allen Projekten aus dem Bereich der Industrial
Culture der späten 70er und frühen 80er Jahre die Beschäftigung
mit einer stets präsenten, alles dominierenden Zerstörung, begriffen
als Quintessenz industriell-kultureller Errungenschaften: Zerstörung
wird gleichgesetzt mit „Kultur“. Jon Savage nennt im bereits
erwähnten „Industrial Culture Handbook“ insgesamt fünf
kreative Strategien, die die frühe Industrial Culture der 80er Jahre
kennzeichnet: 1) organisatorische Autonomie außerhalb der Medienindustrie;
2) Forderung nach einem umfassendenden Zugang zu Information in Erwiderung
der ständig präsenten Kontrollinstanzen; 3) der Einsatz von
syntheischer und „Anti“-Musik; 4) die Miteinbeziehung außermusikalischer
Elemente wie Film und Video; und außerdem 5) Schocktaktiken, um
das Publikum wachzurütteln. Das Label-Emblem von „Industrial
Rec.“ zeigt bei näherer Betrachtung den Brennofen des Konzentrationslagers
Auschwitz, und bis in die Gegenwart liefert die 'Todesindustrie‘
des Dritten Reiches ein bevorzugtes Bildreservoir für die visuellen
Attacken der Industrial-Performer. Auch Bands, die sich „Whitehouse“,
„Rasthof Dachau“, „Thee Grey Wolves“, „Streicher“
oder „Genocide Organ“ nennen, provozieren durch die Bezugnahme
auf verschiedene totalitäre Destruktionssysteme. Mehr als in anderen
musikalischen Strömungen spielt in der Industrial-Szene die Visualisation
immer gleicher Motive eine bedeutende Rolle: Leichenberge, Leichensektionen,
Tierversuche, Exekutionen, Sodomie, Pädophilie, Bondage, Sadomasochismus,
schließlich auch der „Riefenstahlismus“ etwa in der
Selbstdarstellung der slowenischen Band Laibach in den achtziger Jahren.
Wolfgang Sterneck schreibt in Ikonen: „Der innerhalb
der Industrial Culture angestrebte Prozess der Überwindung von verinnerlichten
repressiven Strukturen als Teil eines 'Krieges um Information‘,
der letztlich die Frage nach der Kontrolle von Bewusstsein und Bedürfnissen
einschließt, läßt sich dabei in drei Phasen unterteilen.
Die erste Phase ist bestimmt von Elementen der Konfrontation, wobei entsprechende
Texte, Sounds, Motive und Filme gezielt provozierend und schockierend
eingesetzt werden. Sie erhalten dadurch den Charakter einer unterdrückten
Information, die nun zugänglich gemacht wird. Dabei steht jedoch
nicht nur die Verbreitung des Inhalts dieser Information im Vordergrund,
sondern insbesondere der weitgehend abgestumpfte Mechanismus der Wahrnehmung.
Diese Abstumpfung soll über eine direkte, besonders extreme Konfrontation
mit der verdrängten Wirklichkeit in all ihren grausamen, ekelerregenden
und unmenschlichen, aber gleichermaßen alltäglichen Auswüchsen
emotional aufgebrochen werden. Dieser Aufbruch von Mustern des Denkens
und Fühlens markiert die zweite Phase. Das Aufzeigen von zuvor nicht
wahrgenommenen Aspekten der Realität führt dabei zu einer Dekodierung
des gesellschaftlich vorgegebenen manipulierten Bildes der Wirklichkeit.
Darin wiederum wurzelt eine befreiende Veränderung des Bewusstseins
als dritte und abschließende Phase dieses Prozesses als Grundlage
einer weiterführenden individuellen Entwicklung bzw. als eine Voraussetzung
gesellschaftlicher Veränderung.“ Industrial Culture ist also
eine performativ-aktionistisch ausgerichtete künstlerische Ausdrucksform,
weniger ein musikalisches Genre, als welches sie oft betrachtet wird.
Industrial ist der künstlerische Gewaltakt auf audiovisueller Ebene,
ein Overkill destruktiver Bilder, Symbole und Zeichen.
Der Einfluß der Industrial Culture der frühen
1980er Jahre machte sich international vielseitig bemerkbar. In allen
Schlüssel- und Verbreitungsgebieten der Industrial Culture (also
England, Deutschland, USA, Japan, Italien, Spanien etc.) widmeten sich
Filmemacher der Visualisation der Musik oder schufen audiovisuelle Äquivalente
zu den schwer konsumierbaren, monotonen Rythmusstrukturen. So inspirierte
die Musik von Throbbing Gristle den britischen Avantgardisten Derek Jarman
zu dem Super 8-Film IN THE SHADOW OF THE SUN (GB 1980), der – unter
Verzicht auf Charaktere, Handlung und anderer narrativer Elemente –
eine imaginäre „Landschaft“ inszenierte: „Ich benutze
die Kamera wie ein Maler, um zu sehen, wie weit ich mit Super 8 vordringen
kann.“ In TG PSYCHIC RALLY IN HEAVEN (GB 1981) filmte Jarman einen
Live-Auftritt von Throbbing Gristle, ohne die für das Genre typischen,
der Selbstdarstellung dienenden Großaufnahmen der „Stars“,
ließ die Musiker in den Hintergrund treten zu Gunsten einer visuellen
Entsprechung der ständig mutierenden, nahezu atonalen Geräuschcollagen
Throbbing Gristles. Auch später hielt Jarman Verbindung mit den Gründungsmitgliedern
der Band. Mit Peter Christophersons Projekt COIL filmte er den meditativen,
„ambienten“ Spielfilm THE ANGELIC CONVERSATION (GB 1985),
der nur vordergründig eine homosexuelle Liebesgeschichte erzählt:
Im Mittelpunkt stehen Stimmungen, visuelle und akustische Strukturen,
die teils Assoziationsflächen und teils Entspannungsmomente bieten,
und auch die rezitierten Shakespeare-Sonette können vom Zuschauer
und -hörer assoziativ verwendet werden, ohne zwangsläufig mit
dem Gezeigten verknüpft werden zu müssen. Die wesentlichen Elemente
der Industrial-Musik bleiben auch in diesem Avantgardefilm noch spürbar:
Improvisation, Collagen kaum zuzuordnender Geräusche, Verfremdung
alltäglicher Objekte, Beliebigkeit des Gegenständlichen, Vieldeutigkeit
und Fragmentierung durch schwer zuzuordnende Nahaufnahmen des Körpers.
Auch in Japan etablierte sich früh eine Industrial-Subkultur,
wenn auch hier der Schwerpunkt auf extremen Geräuschkünstlern
lag wie Merzbow, Gerogerigege, Masonna und Grim. In diesen massiven Lärmexzessen
trat eine weltanschauliche Dimension in den Hintergrund. Die Musik diente
immer noch als künstlerische Reflexion einer umfassenden Industriegesellschaft,
auch der körperliche Performance-Aspekte wurde gepflegt (oft im Kontext
erotischer Fesselungskunst), der „unbedingte Zugang zu Information“
jedoch wurde hier ignoriert. So war es dann auch die deutsche Gruppe Genocide
Organ, die das japanische Publikum jüngst mit Bildern der Atombombenopfer
und der japanischen Kriegsverbrechen an der chinesischen Bevölkerung
konfrontierte. Ein kritischer Umgang mit diesen Phänomenen findet
in Japan selbst offenbar weder in der Gesellschaft allgemein noch im künstlerischen
Untergrund statt.
Einer der ersten Filmemacher, die sich von der Lärmmusik
inspirieren ließen, war Toshihiro bzw. 'Sogo‘ Ishii: Er drehte
1985 wiederum für eine deutsche Musikformation, die Einstürzenden
Neubauten, eine Filmversion ihres legenbären Albums „1/2 Mensch“.
Ishiis Wurzeln liegen eher in einem anarchistischen Punk-Gestus, den er
bereits als zwanzigjähriger Filmemacher in dem 8mm-Film PANIC HIGH
SCHOOL kultivierte. Zu Beginn der achtziger Jahre drehte er Videoclips
für japanische Punkbands, bis er 1984 mit seiner Chaoskomdöie
DIE FAMILIE MIT UMGEKEHRTEM DÜSENANTRIEB international bekannt wurde.
Das Neubauten-Projekt im folgenden Jahr war in vielerlei Hinsicht ein
Wendepunkt: Wieder wandte er sich der experimentellen Form zu, baute dabei
jedoch traditionelle japanische Motive ein: So schafft er in den performativen
Höhepunkten des kurzen Films, etwa zu dem Lied „Z.N.S.“,
eine Fusion industrialtypischer Metallmüll-Ästhetik und klassichem
Butoh-Tanz. Auch tritt die Materialität der kakophonischen Musik
in den Vordergrund der Inszenierung: Lange beobachten wir, wie F.M. Einheit
sich Schrottteile aussucht, um sie später als Rhythmusinstrumente
zu verfremden.
Auch in seinen späteren narrativen Psychothrillern
ANGEL DUST (1995) und LABYRINTH DER TRÄUME (1997) bleibt die Manipulation
der Tonspur mit all ihren maschinellen Elementen stilprägend. ANGEL
DUST, ein esoterischer Mysterythriller, bezieht seine Spannung aus den
Gegensätzen von urbanen und ländlichen Klangkulissen. Erst mit
dem Industrial-Metal-Märchen ELECTRIC DRAGON 80.000 V (2001) kehrte
Ishii dann explizit zur Industrialästhetik zurück: Er drehte
in Schwarzweiss, mit körnigem, kontrastreichem Material, unterlegt
fast alle Sequenzen mit dem Lärm der elektischen Gitarren, mit denen
sich zwei rivalisierende Musiker buchstäblich duellieren. Auf den
Dächern von Tokio liefern sie sich einen Endkampf von apokalyptischer
Dimension, den man sonst aus japanischen Manga-Serien kennt – oder
allenfalls aus deren filmischer Variante, dem Anime.
Das Erbe des noch heute avancierten Filmemachers Ishii trat
zu Beginn der neunziger Jahre der etwas jüngere Regisseur und Theaterautor
Shin’ya Tsukamoto an. Der Filmpublizist Mark Shilling beschreibt
Tsukamoto in seinem Buch „Contemporary Japanese Film“ (1999)
als den „geborenen Filmemacher, der schon mit neunzehn Jahren, wenn
andere Filmstudenten noch die Unibänke drücken, sein Werk bei
einem NTV-gsponserten Filmfestival vorführen durfte.“ Seinen
ersten Versuch filmischer Verwirklichung unternahm er mit dem erst 1995
aufgeführten Kurzfilm (50 Minuten) DENCHU KOZO NO BOKEN / ADVENTURES
OF ELECTRONIC ROD BOY / THE PHANTOM OF REGULAR SIZE (1988). Diese dramatische
Groteske über einen Jungen (Nariaki Senba), dem ein elektrischer
Arm aus dem Rücken wächst, nimmt wesentliche Momente des folgenden
Films, der Industrial-Phantasie TETSUO, vorweg. Der Film porträtiert
den Jungen als eine tragische Figur, einen Einzelgänger, Opfer des
allgemeinen Spotts. Eines Tages schlüpft er durch einen Zeitschleife
in die von einem tyrannischen Vampir (Tomoroh Taguchi) beherrschte Parallelwelt.
In einem idealistischen Kampf gelingt es ihm mit Hilfe seiner besonderen
Begabung, die Versuche dieses Vampirs, das Sonnenlicht mittels einer Bombe
zu eliminieren, zu vereiteln. Einige der in späteren Filmen auftauchenden
Elemente sind hier bereits vorhanden, etwa das Zwischenspiel mit einen
Bohrer-Penis, oder die Tatsache, daß sich beide Antagonisten später
in überlebensgroße Metallgiganten verwandeln. Was hier noch
wie ein Spiel, eine manierierte wenn auch unterhaltsame jugendliche Fingerübung
anmutet, wird bereits im Jahr darauf zu einem ikonischen Klassiker der
Cyberpunk-Science-Fiction.
Tsukamoto machte sich endgültig an die Arbeit, seine
bei Sogo Ishii und Antonin Artauds „Theater der Grausamkeit“
erlernten Lektionen für den Spielfilm zu adaptieren. TETSUO –
THE IRON MAN (1989) und TETSUO II - BODY HAMMER (1991) nannte er seine
beiden rasanten Science-Fiction-Filme, die ihm weltweite Aufmerksamkeit
bescherten und als konsequenteste Umsetzung der Industrial-Ästehtik
in das Medium Film gelten können. Dabei erzählen beide Filme
eine nur in den Ausmaßen der Darstellung variierte, sehr ähnliche
Geschichte. Im ersten Teil entdeckt der durchschnittliche Bürokaufmann
Tetsuo (Tomoroh Taguchi) einen kleinen Metallspan, der aus seiner Wange
zu wachsen scheint. Tatsächlich – so stellt sich bei näherer
Betrachtung heraus – befindet sich sein Körper schon in einem
weiteren Stadium der Transformation, der Umwandlung in einen Metall-Maschinenkörper.
Diese Mutationen scheinen sich auch auf andere Menschen zu übertragen,
etwa in einer bizarren Sequenz, in der sich Tetsuos Penis in einen rotierenden
Keilbohrer verwandelt, mit dem er dann seine Freundin attackiert. In einer
kollabierten Industrial-Welt verschmelzen dort Menschen, gleich David
Cronenbergs und H. R. Gigers Biomechanoiden, mit metallenen Maschinen,
vornehmlich mit Waffen, um sich schließlich – so will es vor
allem der zweite Teil – Endkämpfe von archaischer Wucht zu
liefern. BODY HAMMER entwickelt im Gegensatz zu IRON MAN, in dem nur wenige
Sätze gesprochen werden, eine rachemotivierte Geschichte, die den
Film stellenweise einem gängigen Fantasy-Manga annähert. Dort
muß der Geschäftsmann Tetsuo (wiederum Tomoroh Taguchi) mit
ansehen, wie eine Band Skinheads seinen kleinen Sohn entführen und
grausam verbrennen. Hier wird nun eine Schußwunde zum Ausgangspunkt
für Tetsuos Verwandlung in ein lebendes Waffenarsenal, mit Hilfe
dessen er sich den ebenfalls mutierten Skinheads entgegenstellt. Erstmals
führt Tsukamoto hier das Motiv der ungleichen, rivalisierenden Brüder
ein, die er gegen Ende des Films in einem äußerst blutigen
Falshback, in dem der aggressivere Mutant die Eltern beim S&M-Spiel
in Fetzen schießt, vorstellt und motiviert. Angesichts des audiovisuellen
Overkills muten solche narrativen Tendenzen jedoch eher wie eine Entschuldigung
an.
Die Bildsprache paßt in beiden Filmen Tsukamoto dem
monoton-hämmernden Stahlschlagrhythmus der Tonspur konsequent an:
Suggestiv und rasend schnell sind Bilder aus schneidendem Schwarzweiß
aneinandergereiht, die schon in ihrer stroboskopartigen Kontrastmontage
eine Verbindung von Fleisch und Metall/Maschine andeuten – William
Friedkins immer wieder eingesetzte, nur Bruchteile von Sekunden lange
Subliminalbilder (z.B. in THE EXORCIST) erscheinen zahm dagegen. Der Schnitt
schafft die rythmisierte Verknüpfung, die dem Zuschauer die reizlastige
Bilderflut ungefiltert ins Gehirn hämmert – zur Verdeutlichung
einer „Quintessenz“ der Megalopolis Tokio. Tsukamoto kreierte
so die denkbar eindringlichste filmische Umsetzung einer zeitgemäßen
Industrial-Äthetik: Fleisch und Metall verschmelzen in eindeutig
sexueller Konnotation letztendlich zu einer biomechanischen Waffe. In
einer eindrucksvollen Sequenz wird der Protagonist des ersten Teils von
einem medusenhaft wuchernden biomechanoiden Mädchen qualvoll penetriert,
was seine Transformation besiegelt. Tsukamoto schließt hier deutlich
an Tendenzen an, die bereits mit Aufkommen der historischen Epoche der
Industrialisierung aktuell wurden: Die Auffassung vom Körper als
mechanisches Objekt, die einen eventuellen Austausch von organischem Wesen
und maschineller Kreatur möglich macht. Die Fetischisierung bzw.
Sexualisierung mechanischer, vornehmlich metallischer Objekte erinnert
an Marshall McLuhans Ideen aus „The Mechanical Bride“ (1954)
oder etwa James G. Ballards Roman „Crash“ (1971). Der industrialisierte
Mensch – und mit ihm Tsukamoto – ist auf der Suche nach neuen
Mythen fündig geworden im industriellen Alltag, dessen wuchernden,
rhythmischen und letztlich sinnlichen Elementen sich nur zu leicht mythische
Strukturen überstülpen lassen.
Drei Jahre später folgte das Boxerdrama TOKYO FIST
(1995), in dem der Regisseur selbst zusammen mit seinem Bruder Khoji Tsukamoto
ein brutal rivalisierendes Freundespaar spielt und so zu einer TETSUO
ebenbürtigen originären Form findet. Während die beiden
früheren Filme den Körperhorror auf der surrealen Ebene durchspielten,
wendet er sich hier einem realen Ambiente und aktuellen Phänomenen
der neunziger Jahre zu: Der Versicherungsvertreter Tsuda (Tsukamoto) begegnet
unfreiwillig seinem früheren Schulkameraden Takuji (Khoji Tsukamoto)
wieder, als dieser sich Tsudas Lebensgefährtin Hizuru in eindeutiger
Absicht nähert. Die junge Frau geht auf Takujis Werben ein, zieht
in seine Wohnung und beginnt, ihr neues Lebensgefühl parallel zu
der gewalttätigen Rivalität der Männer in exzessivem Bodypiercing
auszuleben. Tsuda beginnt, selbst Boxen zu lernen und löst damit
einen Schwur ein, der die Männer seit ihrer Schulzeit verbindet;
doch ein finale Begegnung der Haßfreunde im Ring findet schließlich
nicht statt. Während sich Takuji eine blutige Schlacht mit einem
weiteren Wunschgegner liefert, verarbeiten Tsuda und Hizuru die Beziehungskrise
auf ihre eigene Weise: Sie fügen sich gegenseitig schwere Verletzungen
zu. Tsudas kurzes, verbissenes Aufbegehren durch das Boxen endet letztlich
in Verwirrung. Nahm er zu Beginn die Großstadt noch als innerlich
kranke, verwesende Hochglanzmaske wahr, scheint er am Ende gänzlich
blind geworden zu sein: Mit seinem trüben, toten Auge steht er bewegungslos
starrend auf einer einsamen Stahlbrücke.
Tsukamoto gelingt es, die in TETSUO entwickelten Stilmittel
nahtlos und konsequent in ein der Grundstruktur nach klassisches Dreiecks-Melodram
zu integrieren: Pulsierende metallische Rhythmen, ruhelose Handkamera
und Stakkato-Schnitt lassen den Film selbst zur Großstadterfahrung
werden. Er zeigt Charaktere im alltäglichen Leerlauf, auf dem Weg
zur Arbeit, in U-Bahnen und vor dem Fernseher, die den Bezug zum komplexen
Geflecht ihrer emotionalen Bedürfnisse längst verloren haben.
Einen kurzfristigen Ausweg aus diesem urbanen Alptraum bieten
allenfalls die Körpertechniken der Modern Primitives: Piercing, Scarification,
Tätowierungen und Sadomasochismus sowie der blutige Kampfsport. Die
spezifische Verbindung von Sexualität, physischem Schmerz und Gewalt,
auf die letztlich alle Filme Tsukamotos rekurrieren und in der die Protagonisten
neue, ungekannte Formen der sinnlichen Reinheit sucht, ist schwer zu fassen
und noch problematischer zu definieren: Der Soziologe Wolfgang Sofsky
z.B. unterscheidet in seinem „Traktat über die Gewalt“
zwei Formen von Gewalt, die nicht destruktiv auf den Mitmenschen ausgerichtet
sind, sondern zur Erweiterung des eigenen Empfindens dienen: „Rituale
der Initiation oder asketische Techniken der Selbstkasteiung sind kulturelle
Praktiken des Schmerzes. Sie nutzen den Umschlag des auf Leibesinseln
eingehegten Schmerzes in Wollust, in die Wonnen der Pein. Oder sie aktivieren
Kräfte, die sich dem Schmerz erfolgreich zu widersetzen vermögen.
Diese Techniken zielen jedoch weniger auf den Schmerz als auf dessen Überwältigung,
auf die Restitution der personalen Einheit. Im Zugewinn an leiblicher
Intensität und Handlungsmacht bestehen Lust und Triumph der Souveränität,
nicht im Erleiden des Schmerzes.“ Auch TOKYO FIST deutet an, wie
sich eine schmerzliche Initiation innerhalb der populären Kultur
Wege bahnen kann, um sich der Entfremdung vom eigenen physischen Bewußtsein
innerhalb der Industriegesellschaft entgegenzustellen. Und da Initiation
immer die Konfrontation mit dem Un-Faßbaren bedeutet, wird der Film
hier zum reflektierten Leidensmoment, einem Moment der Krise: einer künstlichen,
provozierten Krise, wenn man so will. Tsukamoto bedient sich der kulturell
naheliegenden Affektbilder und -situationen, die er komplex in sein eigenes
ästhetisches Universum bettet – so bieten sich gerade die Bizarrerien
des Modern Primitivsm sogar – im Gegensatz zur irrealen Welt von
TETSUO – zur Simulation von „Authentizität“ an.
Zärtlichkeit, Sexualität, Gewalt, Tod, Qual, Schöpfung,
Irritation, Relativierung, Bestätigung, Alltäglichkeit und Mythos
sind die Dreh- und Angelpunkte des initiatorischen Werkes TOKYO FIST,
das sich mal einer Darstellung modern primitiver Körpertechniken
bedient, oder im anderen Fall den Stil der Darstellung aus einer Reflektion
dieser Techniken bezieht und somit das Industrial-Konzept weiter entwickelt.
Zudem wird im Moment existenzieller Entäußerung – im
Schmerz, in der Lust – jede Grenze hinfällig: Die Mauern der
Geschlechtergrenzen fallen, egalisieren alle Partizipienten: Im Schmerz
sind hier alle Menschen gleich.
Zusammenfassend lässt sich schließlich sagen,
dass die Erneuerungsbewegung des japanischen Films der achtziger Jahre
durchaus unter dem Einfluss der Industrial Culture stand und einige der
musikalisch-performativ vorgedachten Elemente auf die Leinwand übertrug.
Analog zur Entwicklung der japanischen Industrialmusik bliebt jedoch der
zeitkritische Bezug eher diffus. Ishiis und Tsukamotos Filme diagnostizieren
Entfremdung, Vereinsamung, Entindividuation und Paranoia, ohne diese Phänomene
klar zu verorten oder gar zu analysieren. Bezüge zur japanischen
Geschichte und Gesellschaft sind interpretierbar aber nicht evident. Von
daher wird das eigentliche Ziel der Industrial Culture – die konstruktive
Umformung des Industriemenschen durch bewußtseinserweiternde Schocktaktiken
– ignoriert. Ishiis und Tsukamotos Filme bleiben hier auf einer
Oberfläche, bieten keinen praktizierbaren Gegenentwurf. Selbst die
Körperexzesse aus TOKYO FIST bleiben ohne positiven Effekt auf die
Individuen. Noch gegenwärtig finden sich Industrial-Elemente im aktuellen
japanischen Kino, sei es in Filmen von Takashi Miike, Mamoru Oshii oder
eben Sogo Ishii und Tsukamoto selbst, doch Bruitismus, Schock und Bildgewitter
muten hier zunehmend wie eine leicht verfügbare, spektakuläre
Attraktion an.
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