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Daniel Novak
The Human Centipede 2 –
Full Sequence
Ein Essay zum transgressiven Kino
“Oh! Celia, Celia,
Celia shits!"
- Jonathan Swift
Unsere Gesellschaft sieht sich derzeit einigen
kulturellen Missverständnissen ausgesetzt. Zwei davon spielen für
die Betrachtung des Filmes „The Human Centipede 2“ tragende
Rollen.
Ist der “fart joke” nicht der anarchisch-humorige
Geniestreich, für den ihn heutzutage jeder zweite Komiker hält?
Definiert sich die Härte (die „Wucht“) eines Filmes nicht
durch das Maß an grafischer Gewalt an austauschbaren Charakteren?
Oberflächlich könnte man jetzt bereits aufhören, sich über
den Film auszulassen und ihn, man verzeihe die platte Pointe, in die Jauchegrube
befördern. Allerdings ist bereits nach einmaligem Sehen klar, dass
man neben einem irrwitzigen Kulturphänomen einen doch sehr wertig
inszenierten Film vor sich hat.
Aber fangen wir andersherum an: Wir leben in einer Zeit,
in der unsere Mattscheiben einerseits mit Körperflüssigkeiten
regelrecht geflutet werden, in der aber andererseits jeder naturalistische
Bezug vollkommen verloren gegangen ist. Ob Blut, Kot, Eiter oder Sperma,
alles wird zusammengematscht und entweder zum Zwecke der Anregung oder
der Schockwirkung literweise nach dem Zuschauer geworfen. Nur unsere eigenen
Exkremente genießen eine Art Sonderstellung - außer in Videos,
die wiederum so populär sind, dass sie Teil unserer Popkultur wurden.
Man denke an den vor einigen Jahren fast unvermeidlichen “2 Girls
1 Cup”-Clip. Selbst in derben Satiren, wie etwa der Verfilmung von
“39,90”, wird ein Kothaufen auf dem Wohnzimmertisch als Zeichen
besonderer Degeneration verwendet: Die verklebten Alkohol- und Drogenzombies
dieser Szene werden dadurch in ein ganz besonders widerliches Licht gerückt,
ganz, als wäre das Verrichten der Notdurft ekelhafter als der Konsum
von harten Drogen. Der Anus gilt immer noch als derartig unrein, dass
der Trend zum Anal-Bleaching, also zum künstlichen Aufhellen der
eigentlich braunen Haut um die entsprechende Öffnung, nun nicht mehr
lediglich in einschlägigen Medien, sondern in gebräuchlichen
Frauenmagazinen Erwähnung findet. Kurzum: Körperflüssigkeiten
finden im Film vielfältige Anwendung, solange sie ihrer biologischen
Funktion bereinigt sind.
Als der Regisseur Tom Six im Jahr 2010 mit dem ersten “The
Human Centipede” auf den Plan trat, reichten ein Andeutung des Inhaltes
und der Hinweis auf 100% medizinische Akkuratesse aus, um ein Phänomen
loszutreten, das es nur in Zeiten des Internets geben kann. Aus einem
kleinen Independent-Horrorstreifen wurde ein Kulthit – noch bevor
er erschienen war und man sich von irgendeiner Qualität überzeugen
konnte.
Der schiere Gedanke daran, drei Personen, zwei davon natürlich hübsch
und weiblich, in einer absonderlichen “Ass-to-Mouth” Fantasie
zu einem menschlichen Hundertfüßer aneinander zu operieren,
reichte vollkommen aus. Selbst die Macher des satirischen Cartoons “South
Park” nahmen sich des Sujets in der absolut brillanten Folge “The
Human Cent-iPad” an. Allerdings wurde keine Sekunde lang auf die
Handlung des Filmes eingegangen; dieser wurde lediglich zum Leitmotiv
einer - man kann die Folge kaum genug loben - genialen Parodie auf den
Apple Produktkult und die Gleichgültigkeit des Konsumenten verquickt.
Noch immer keine Spur von einer inhaltlichen Auseinandersetzung.
Aber nun auch wirklich Hand aufs Herz, inhaltlich war im
ersten Teil nicht viel zu holen. Er wirkte eher wie ein etwas zu lang
erzählter Witz, den man angetrunken in der Kneipe zum Besten gibt,
um die anwesenden Damen zu schockieren und so entweder seine Ruhe oder
einen Raubein-Bonus zu bekommen.
Vor allem wirkte die zwar formal recht gute, aber auffallend zurückhaltende
Inszenierung inhomogen – nicht was den eigentlichen Film betraf,
der war ein ganz brauchbarer Zeitvertreib. Man war allerdings eher verwundert,
dass diesem Film ein solcher Ruf vorauseilte: Keine grafische Folter,
keine Blutbäder und auch keine großen Effekte. Dennoch sprach
man von einem der “most revolting movies”, die je gemacht
wurden.
Schnell fand sich aber auch eine Gegenpartei: Sogenannte “Gorehounds”
(also Leute, denen es rein um brutale Schauwerte geht) brüsteten
sich geradezu kreuz und quer durch Foren und Filmportale damit, wie harmlos
der Film sei und wie viel krasser doch Folterporno XYZ wäre. Da der
Regisseur bereits kurz nach der Veröffentlichung seines Filmes darauf
hinwies, dass in der Fortsetzung gleich zwölf Leute dasselbe grausame
Schicksal ereilen sollte, und dass der neue Reißer den Alten wie
“Mein kleines Pony” aussehen lassen sollte, liefen die Spekulation
natürlich internet-typisch auf Hochtouren.
Six bewies ein exzellentes Gespür für die Generation
Web 2.0 und inszenierte sich zusehends selbst. So trat er öffentlich
fast ausschließlich mit Cowboyhut und Sonnenbrille auf, um den harten
Hund zu markieren. Als dann im September 2010 der erste Teaser zu Sequel
erschien, wurde schnell klar, dass es Six nur um die Generierung eines
„Hypes“ ging: Da gab es kein Wort zum Inhalt, kein einziges
Bild aus dem Film – lediglich eine Person mit einer Tüte auf
dem Kopf, die vom Regisseur als der perfekte Charakter gelobt wurde.
Anschließend wurde unter anderem mit der Entscheidung
der englischen BBFC, dem Film ungekürzt die Freigabe zu verweigern,
Werbung gemacht. Besonders detailliert wurden die aus dem Zusammenhang
gerissenen Szenen beschrieben, die so abartig waren, dass der Hype auf
seinen Höhepunkt zulief.
Als der Film dann erschien, war klar, dass es sich tatsächlich
um einen der grafisch gewalttätigsten Filme der letzten Jahre handelt.
Der Unterschied war nur, dass sich anders als bei den berüchtigten
Filmreihen „August Underground“ oder „Guinea Pig“
nicht nur ein eingeschworenes Publikum mit dem Film auseinandersetzte
sondern die gesamte Mainstreampresse. Sogar der sonst so anspruchsvolle
Guardian widmete dem Film, zumindest auf seinem Internetauftritt, vorab
mehrere Artikel. Jedes Informationsportal der neuen Medien, das etwas
auf sich hält, beschäftigte sich mit diesem Film.
Hier wird eine von zwei Parallelen zum ähnlich „laut“
inszenierten „A Serbian Film“ deutlich, nämlich, dass
man heutzutage durch geschickte Generierung eines Hypes Einzug in die
Massenmedien findet, ganz gleich, wie wenig man auf den Massengeschmack
passt – oder scheinbar eben doch. Die zweite gemeinsame Eigenschaft
ist, dass beide Filme wirken, als hätten die Macher eine Liste abgearbeitet:
„Hatten wir diesen Tabubruch schon? Nein? Dann schnell noch einfügen“.
Wie transgressiv ist diese Art des Filmemachens eigentlich
wirklich?
Auch wenn Dinge zu sehen sind, die wirklich jedem halbwegs
gesundem Menschen Unbehagen bereiten sollten, sind diese doch zu programmatisch
und gedankenlos aneinander gereiht, um wirklich kulturzerstörerisch
und eben transgressiv zu wirken.
Im Falle von „A Serbian Film“ wurden daher die Macher nicht
müde, immer wieder ihre Meta-Ebene zu betonen, in der es um den menschenverachtenden,
manipulativen Charakter der serbischen Gesellschaft geht.
Und wieder die Frage: Ist das noch transgressives Kino?
Ist es subversiv, sich in Abscheulichkeiten zu ergehen und diese vorab
mundgerecht in ein pseudo-intellektuelles Gebilde einzufügen, um
sich entweder zu rechtfertigen oder sich den Anschein des großen
Revoluzzers zu geben?
Auch Pasolini hat in „Salo“ wortwörtlich
in menschlichem Unrat gewühlt, Gaspar Noé hat Unbeschreibliches
in „Irréversible“ gezeigt. Doch waren diese Filme für
ein mündiges Publikum bestimmt. Es gab zwar durchaus vorab Kommentare
der Filmschaffenden über die Inhalte des Films, doch die Erschließung
dieser Monstren blieb dann ganz dem Zuschauer überlassen. Man war
allein mit seiner Wahrnehmung nach der Rezeption dieser beiden Filme.
Allein mit sich und seiner Verunsicherung.
Und hier kommt nun der große Unterschied zwischen „A Serbian
Film“ und „The Human Centipede 2“:
Tom Six ist zu keinem Zeitpunkt auf den Inhalt seines Filmes
eingegangen, er hat lediglich propagiert, was für unfassbare Abscheulichkeiten
zu sehen sein werden.
Diese gehen dann wieder so weit, dass sie an vielen Punkte
grotesk und urkomisch wirken – doch was dem serbischen Bruder im
Geiste dann endgültig das Genick brach, wurde hier zum publikumswirksamen
Köder, um eine davon völlig losgelöst so gar nicht dumme
oder oberflächliche Geschichte zu erzählen.
Im zweiten Film über den menschlichen Hundertfüßer ging
es nämlich unter anderem um die Rezeption des ersten. So ist in dieser
Filmwelt der Vorgänger ein nur als Film existierender Reißer.
Dieser wird vom neuen Protagonisten bis zum Exzess konsumiert und bildet
in seiner widerlichen, kleinbürgerlichen Welt eine Form des Eskapismus.
Martin Lomax, bemerkenswert gut dargestellt von dem völlig
unbekannten Laurence Harvey, ist ein kleiner, dicker, asthmatischer Niemand.
Ein Parkwächter, den keiner bemerkt. Was umso tragischer ist, denn
der arme Martin ist ein geschundenes Subjekt, ein Opfer väterlicher
Gewalt und sogar sexuellen Missbrauchs. Seine Mutter, die eigentlich zu
ihm halten sollte, wirft ihm sogar vor, durch die Öffentlichmachung
seines Martyriums den Vater ins Gefängnis gebracht und somit die
Familie ruiniert zu haben. Ein erschreckendes, deprimierendes Personenkonstrukt,
dessen Bezug zur Realität jedem der Sozialarbeiter des Vertrauens
nur zu gerne bestätigen wird.
Der gepeinigte Martin fantasiert unentwegt vor sich hin und lebt seinen
Selbsthass in bizarren Selbstverstümmelungen und Masturbationsriten
aus. Bis er beschließt, seine Fantasien Wirklichkeit werden zu lassen.
Hier rutscht der Film gewollt ab in den kompletten Exzess: Muttermord,
Verstümmelung schwangerer Frauen, grausige Dominanzfantasien: die
oben genannte „To Do-Liste“ wird gnadenlos abgearbeitet. Doch
durch die geschickte Konstruktion der Handlung wirken diese Bilder nun
nicht mehr wie ein selbstgefälliges Schockieren um des Schockierens
Willen, sondern wie die besagte eskapistische Fantasie eines Menschen,
der so gestört und zerstört ist, dass er seine ganze Kreativität
nur noch in Gedanken kanalisieren kann, die seinem defekten Lebens- und
Menschheitsbild entsprechen.
Man bekommt zunehmend das Gefühl, es mit einer Satire zu tun zu haben,
in deren Kontext auch das Programmatische des Dauerschockierens wie eine
fiese Pointe wirkt. War der Verrückte im ersten Teil noch ein Arzt,
der mit chirurgischer Sauberkeit und Präzision arbeitete, so ist
Lomax ein kleiner Stümper, der statt Skalpell und medizinischem Nähzeug
den Vorschlaghammer, Klebeband und einen Tacker verwenden muss. An einer
Stelle fällt es ihm auch wie Schuppen von den Augen, dass sein Plan
nicht aufgehen wird: Er ist kein Arzt und auch nicht besonders fingerfertig,
sondern ein Parkwächter, der glaubt, seine Fantasien ließen
sich in die Realität umsetzen – eine an bösartiger Komik
kaum noch zu überbietende Sequenz, die selbstverständlich mit
dem nächsten Gewaltexzess quittiert wird. Infolge beschäftigt
sich das letzte Drittel des Films zunehmend mit dem wortwörtlichen
Auseinanderfallen dieser perversen Fluchtträume. All dies kulminiert
in einem grenzenlosen Massaker, das Seinesgleichen sucht, um dann am unmittelbarsten
Punkt des Scheiterns wieder in einer Schwarzblende auf Marin Lomax zu
fokussieren, der unruhig im Blick und von Frustration aufgeladen in seinem
Bürohäuschen sitzt und vor sich hin fantasiert. Am Ende bleibt
alles Geschehene doch nur die morbide Fantasie einer defekten Persönlichkeit.
Der gesamte Film als satirische Überspitzung der Rezeption
solcher Filme: Es stellt sich die Frage, ob Martin ohne den ersten Teil
von „The Human Cenitpede“ überhaupt zu solchen Fantasien
gekommen wäre. In jedem Fall wäre er aufgrund seiner Vorgeschichte
ein, zumindest für sich selbst, gefährlicher Charakter. Doch
in wieweit Horrorfilme diese Art Sozio- oder Psychopathen dazu beflügeln,
besonders grausame Taten zu begehen, ist ein anderer Diskurs.
Man fühlt sich letzten Endes überrumpelt und
tatsächlich irgendwie schmutzig, und während die Bilder langsam
abklingen, bleibt der fade Geschmack, denn die Geschichte in sich war
wirklich unangenehm und destruktiv. Die visuellen Fantasien waren nur
Beiwerk zu einer tiefmisanthropischen Satire, und letzteres bleibt dann
in den Gedanken des Zuschauers auch wirklich hängen.
Durch die geschickte Verwendung der modernen PR-Möglichkeiten
war dieser Film aber nicht nur bei Connaisseuren oder aus anderen Gründen
interessierten Rezipienten solcher Filme ein Thema, sondern in aller Munde,
und erstaunlich viele Schreiber gingen in ihren Rezensionen auf die unerwartete
zynische Satire ein.
Womit wir wieder bei der Frage wären, ob das wirklich
transgressives Kino ist?
In diesem Fall überraschenderweise schon.
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