|
Jess Franco – Eine Annäherung
(12. Mai 1930 - 2. April 2013)
von Christian Kaiser
Als Lugosi zu Grabe getragen worden ist, da konnte
man aufgrund seiner populären Rolle als Graf Dracula scherzhaft unken,
er würde seinem Sarg womöglich wieder entsteigen. Schaut man
sich dagegen Jess Francos filmisches Werk an, das an Vampirfilmen gewiss
nicht arm ist, kann man dagegen allenfalls zu diesem Schluss kommen: dass
Franco nun (wie schon seine Partnerin Lina Romay ein knappes Jahr zuvor)
seine Existenz als diskontinuierliches Wesen aufgegeben hat, um im Unendlichen
aufzugehen – ob man das nun schön oder schrecklich findet...
Franco fand diese Vorstellung offenbar schrecklich schön (oder auch
schön schrecklich) und drehte zu Lebzeiten gleich ein paar Dutzend
Horror- und Erotikfilme zu dem Motiv der Selbstauflösung in der Erotik
oder im Tode – mal hervoragende, mal reichlich dilettantische Streifen,
mit denen er zu einem ganz eigenwilligen Filmstil fand, voller Francozismen
& ewig wiederkehrender Handlungsmuster, die er variierte... und variierte...
und variierte...
Diesem filmischen Hauptwerk ging eine kurze, keine zehn Jahre währende
Selbstfindungsphase voran, die immer auch vom gesellschaftlichen Wandel
im Umgang mit der Sexualität und der Gewalt geprägt worden war.
Ein Ende hat sein Hauptwerk dagegen nie gefunden: Franco hat mit seinen
Lieblingsthemen nie abgeschlossen, er hat keinen Schlussstrich gesetzt:
kein großer Knall am Ende, sondern ein leises Aushauchen... begleitet
von einem – spätestens in den 90ern einsetztenden – kontinuierlichen
Verfall der zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und einer
gleichzeitigen Radikalisierung der Narration: die Geschichten wurden immer
kleiner, der Handlungsfaden immer dünner – das war kaum noch
Narration, sondern beinahe nur noch Deskription. Zu Beginn war das alles
noch ein wenig anders...
Franco, Franco!
Nach einem knappen halben Jahrzehnt, in dem Franco als Drehbuchautor
und Regieassistent tätig war, nahm er Ende der 50er Jahre erstmals
selbst auf dem Regiestuhl Platz: Abgesehen von frühen Dokumentarfilmen,
die sogar im „Diccionario del cine espanol“ (1966) des deutlich
rechtsgerichteten, spanischen Erfolgsautors, (Film-)Journalisten und Juristen
Fernando Vizcaíno Casas, welcher Francos späteren Werke freilich
ausgesprochen grässlich (und ganz generell Jesus Francos Schaffen
weniger bewunderswert als Francisco Francos Schaffen) fand, positiv aufgenommen
worden waren, bestand sein frühes Werk vor allem aus Klamauk und
Musik. „Tenemos 18 años“ (1959) konfrontierte zwei
junge Damen im Rahmen ihres Ausflugs mit allerlei skurillen Figuren, die
dem Figurenarsenal des Genrefilms, vom Western über den Krimi bis
zum Gruselstreifen, entstammen... bisweilen eingefangen in schiefen, schrägen
Bildern (ein Vorspiel späterer Regieeskapaden), sowie vor Kulissen,
die Franco nie mehr völlig loslassen sollten – dem Meer, dem
Schloss (das gleiche übrigens, welches in „Gritos en la noche“
(1962) erneut die Kulisse abgeben sollte). Eine Spionagekomödie –
„Labios rojos“ (1960), der mit seinen zwei weiblichen Ermittlerinnen
bereits an die späteren Agentenkomödien „Bésame
Monstruo“ (1969) & „Sadisterotica“ (1969) erinnert
– und eine musikalische Klamotte – „La Reina del Tabarín“
(1961), der bereits einen Miniauftritt von Francos erster Muse Soledad
Miranda enthält – später folgt „Vampiresas 1930“
(1962): Was hier mit einer an Feuillades Kriminalserial „Les Vampires“
(1915) erinnernden Vampirfilmszene, die sich schnell als Film(dreh) im
Film entpuppt, beginnt, gerät im weiteren Verlauf zu einer recht
albernen, von etlichen Gesangsnummern durchzogenen Travestiekomödie...
und auch in ihr steht die Kamera hin und wieder schräg und schief,
wenn es gilt tanzende Frauenbeine oder hübsche Häuser einzufangen.
Diese frühen Streifen muten heute im Vergleich mit Francos restlichem
Werk etwas bieder an: es sind harmlose (wenn auch hier und da mal etwas
unerwartet freche & kecke) Blödeleien, durchzogen von Gesang
und Tanz, stilistisch überwiegend arg konventionelle Unterhaltungsfilme,
wie sie im franquistischen Spanien jener Jahre geradezu entstehen mussten.
Diese Harmlosigkeit hing nicht zuletzt damit zusammen, das „Tenemos
18 años“ trotz seiner heute eher bieder wirkenden Ausrichtung
seinerzeit in Spanien mit einem (zum Titel passenden) Jugendverbot belegt
worden war; entsprechend hielt sich Franco fortan (für zwei, drei
Jahre) ein wenig zurück. Gleichwohl lassen die weiblichen Detektive
in „Labios rojos“ bereits ahnen, dass Franco später clevere
Agentinnen, verführerische, mordende, verbrecherische Superschurkinnen,
übernatürlich begabte, intelligente Vamps in Szene setzen sollte,
die in all ihrer Stärke dem traditionellen Frauenbild des franquistischen
Spaniens vollkommen entgegenstehen: Dass Jess Franco schon früh in
seiner Karriere mit „gender conventions of the genres in which he
worked and the times in which he lived“[1] spielte, wird angesichts
seiner umstrittenen Women in Prison-Filme oftmals vergessen.
Ganz anders als die ersten Gehversuche muss dagegen „Gritos en la
noche“ eingestuft werden: Die sich zu Beginn der 60er Jahre etwas
lockernden Zensurbestimmungen des Franco-Regimes haben es Franco ermöglicht,
seinem (zuvor nur sanft erahnbaren) Faible für den phantastischen
Film Ausdruck zu verleihen. „Gritos en la noche“ gilt als
Geburtsstunde des spanischen Horrorfilms und ist ein populäres Beispiel
für die gelockerte Filmpolitik des Landes, gleichwohl diese noch
immer ambitionierten (und vor allem: politischen) Filmschaffenden zu schaffen
machte: Pere Portabella etwa, den Franco über die gemeinsame Jazz-Vorliebe
kennenlernte, drehte noch 1970 mit „Cuadecuc Vampir“ eine
experimentelle, essayistische Meditation über den konventionellen,
berechenbaren Punkt des Genrefilms (also auch des Horrorfilms), indem
er Francos Dreharbeiten zu „El Conde Dracula“ (1970) festhielt
– vom subversiven Kino, von dem Portabella träumte und welches
als subversives Kino per se schon gegen die Zensurvorgaben revoltierte,
war auch der Horrorfilm noch weit entfernt, auch wenn er 1962 inmitten
eines franquistischen Nationalkatholizismus geradezu erfrischend neu &
offenherzig anmuten musste. (Eben so erfrischend neu, dass ein Francisco-Franco-Anhänger
wie Casas kaum noch positive Worte für die neuen Werk des Jesus Franco
haben mochte.)
Neu war „Gritos en la noche“ freilich bloß als erster
spanischer Horrorfilm[2]: an sich war dieser Film schon zur Entstehungszeit
herrlich altmodisch – in s/w-Bildern, die in den Nachtszenen wundervoll
kontrastreich ausfallen und in denen Franco nicht nur auf schräge
Kameraeinstellungen setzt, sondern auch bereits mit einem spürbar
anwachsenden Stilwillen den Raum in seine Tiefe hinein über Betonungen
von Vorder- und Hintergründen ausnutzt, frönt er deutlich seiner
Vorliebe für den Universal-Horror der 30er und 40er Jahre. Doch nicht
nur Universal Horror schlug sich nieder: auch deutliche Anleihen bei den
Edgar Wallace-Verfilmungen „The Dark Eyes of London“ (1939)
& „Die toten Augen von London“ (1961) sind anzutreffen;
ebenso bilden die beim poesievollen Thriller „Les Yeux sans visage“
(1960) des Kinopoeten Georges Franju angelehnte Gesichtstranplations-Thematik
und das Mad Scientist-Motiv Beispiele für einen reflexiven Umgang
mit der Geschichte des Genres. Dabei fällt die Geschichte selbst
äußerst simpel aus: Dr. Orloff (Howard Vernon) lässt von
seinem glubschäugigen Faktotum leichte Mädchen entführen,
um mit ihrer Haut das durch einen Unfall verunstaltete Gesicht der eigenen
Tochter wieder herzustellen – am Ende jedoch wendet sich das Monstrum
gegen seinen Herrn. Mit der an Bezügen reichen Gestaltung der schlichten
Geschichte jedoch „machte Franco diese selbstreflexive Brechung,
die sich im europäischen Arthouse-Kino auszubreiten begann, auch
für Genrefilme fruchtbar“[3].
Mit „Gritos en la noche“ hat Franco nicht bloß einen
denkwürdigen Beitrag im spanischen Kino unter Franco geliefert, sondern
zugleich auch einen wichtigen Markstein in seinem eigenen Werk: dem Horrorfilm
sollte er bis zuletzt treu bleiben, die Figur des Dr. Orloff sollte beständig
in seinen Filmen wiederkehren – und im Jean Pierre Melville-, Sacha
Guitry-, Henri Decoin-, & Fritz Lang-geprüften Darsteller Howard
Vernon fand er einen Begleiter, der bis zu seinem Tod in knapp drei Dutzend
Francos mitwirkte. Bereits im folgenden „La Mano de un hombre muerto“
(1962) war Vernon wieder mit dabei; der weniger zitatlastige, dafür
aber bereits weit raffinierter in Szene gesetzte Gruselkrimi ist nicht
nur ein hübsches Beispiel für Francos schnell voranschreitendes
filmhandwerkliches Geschick, sondern auch noch eine Radikalisierung der
zuvor nur untergründigen Erotik: beschränkte sich die Erotik
in den früheren Filmen auf die Präsentation von Revuemädchen
mit bisweilen zweifelhaftem Ruf, taucht hier bereits mit der Auspeitschung
einer halbnackten Frau explizit die fortan eine immer größere
Rolle spielende S/M-Erotik auf.[4] Ein must-see für Franco-Fans!
Dr. Orloff, Sumuru, Dr. Mabuse, Fu Manchu und...
Das Motiv in „Gritos en la noche“, das Franco
in der nächsten Jahren am häufigsten wiederholen sollte, war
der Mad Scientist. Während die Gesichtstransplantation über
die nächsten Jahre hinweg nur recht sporadisch Verwendung finden
sollte (etwa in „Miss Muerte“ (1966), ziemlich variiert in
„La chute de la maison Usher“ (1982) und „El siniestro
doctor Orloff“ (1984), in „Faceless“ (1988)), begleitete
der Mad Scientist Francos Filme für ein gutes Jahrzehnt recht regelmäßig
– aus dem persönliche Interessen verfolgenden Dr. Orloff wurde
dabei schnell das nach Weltherrschaft gierende, kriminelle Supergenie.
Im etwas schwächeren Sequel „Secreto del Dr. Orloff“
(1964) ist es der obskure Dr. Jekyll, der mit Orloffs Forschungsergebnissen
aus Toten willenlose Diener macht, dabei aber noch durch persönliche
Gründe motiviert ist.
In „Cartes sur table“ (1966) – einem zusammen mit dem
großen Jean-Claude Carrière geschriebenen und mit Eddie Constantine
und Fernando Rey erstklassig besetzten, humoristischen Sci-Fi-Thriller
– tritt Eddie Constantine in gewohnter Lemmy Caution-Manier als
Al Pereira (eine Heldengestalt, die noch in Francos letztem Film „Al
Pereira vs. the Alligator Ladies“ (2012) auftreten wird!) gegen
einen Superschurken an, der über eine Armee willenloser und gefügig
gemachter Menschen verfügt und sie zur „Attack of the Robots“
(so der US-Titel) aufhetzt. Der in seinem Trailer deutlich an den Godard-Trailern
für „Pierrot le fou“ (1965) und „La mepris“
(1963) angelehnte Sci-Fi-Agenten-Klamauk strebt ein wenig in die Richtung
von Godards absurder (und ebenfalls mit Howard Vernon besetzter) Lemmy
Caution-Hommage „Alphaville, une étrange aventure de Lemmy
Caution“ (1965) und setzt auf ironische Distanz und Übertreibung
von Klischees – selbst der katholische Filmdienst konnte sich in
Ansätzen dafür begeistern: „Eine fröhliche Verulkung
des Agentenkinos.“[5] „Die üblichen Eddie-Constantine-Effekte
(harte Faustkämpfe, Flirt mit schönen Frauen) werden mit bemerkenswerter
Distanz dargeboten, indem sie ironisch überhöht werden.“[6]
Auch in „Bésame Monstruo“ schlägt sich ein weibliches
Duo mit allerlei Gruppierungen herum, die an der ominösen Formel
Dr. Bertrands interessiert sind, mit welcher sich eine Rasse von Supermenschen
züchten und befehligen lässt. Und in „Miss Muerte“
(einer der Höhepunkte in Francos Schaffen) kann sich der diabolische
Dr. Z Menschen gefügig machen, wovon nach seinem Tod die eigene Tochter
Gebrauch macht um seine Kollegen zu richten, denen sie die Schuld am Dahinscheiden
des Vaters zuschreibt. In seinem freien Remake „Sie tötete
in Ekstase“ (1971) wird von dieser Technik zwar kein Gebrauch mehr
gemacht, aber sie bildet zumindest noch den Aufhänger für das
Dahinscheiden des Wissenschaftlers, dessen Partnerin nun die Ethik-Spezialisten
unter seinen Kollegen zur Rechenschaft zieht.
Mit solchen Stoffen lag es nur nahe, dass Franco im Rahmen der James Bond-Welle
und des frisch wiederbelebten Dr. Mabuse auch die prominenten Superschurken
der Filmgeschichte aufgreifen sollte: Die Amazonendespotin Sumuru lässt
er im schön bunten und charmant verkitschten „Die sieben Männer
der Sumuru“ (1969) ein nach Macht gierendes Amazonenheer formieren,
der sadistische Fu Manchu (Christopher Lee) verleitet in „The Blood
of Fu Manchu“ (1968) willenlose Mädchen zum Mord an seinen
Feinden. Und auch an Dr. Mabuse vergreift sich Franco und lässt in
„La Venganza del Doctor Mabuse“ (1972) einen sinisteren Doktor
mittels Hypnose und gehorsamen Faktotum nach einer gefährlichen Strahlenwaffe
greifen. Diese Allmachtsphantasien gefährlicher Superverbrecher konnte
Franco auch ohne Armeen willenloser Menschen, ohne Hypnose oder Zombiesklaven
umsetzen: In „The Torture Chamber of Fu Manchu“ (1969) erpresst
der asiatische Schurke die Öffentlichkeit mit seiner Kältemaschine.
Überhaupt kann man – teilweise ins Phantastische erweiterte
– Kriminalfilme als einen der großen Hauptbezugspunkte der
Francos zwischen 1962 und 1972 bezeichnen: „Rififí en la
ciudad“ (1963) ist ein kreativer, reißerischer kleiner Politthriller,
mit dem Franco seine film noir-Vorliebe ebenso auslebt, wie auch seine
musikalische Begeisterung; eine sorgfältige Kameraarbeit, die durchdachte
Montage, der Einsatz der Tonspur und die für Franco recht aufwändig
anmutende Ausstattung machen den seriösen Thriller zu einem kleinen
Höhepunkt unter Francos frühen Filmen. Nicht weniger aufwendig,
in seinen s/w-Bildern etwas kontrastreicher und in seinen Nachtclub-,
Prügel- & Schusswechsel-Sequenzen noch deutlich dynamischer gibt
sich „La Muerte silba un blues“ (1964) – mit Franco
als Saxophonist – über eine Rachegeschichte unter Waffenschmugglern.[7]
Der mit Constantine und Vernon besetzte Technicolorstreifen „Residencia
para espías“ (1966) über einen US-Agenten, der in Istanbul
auf seine frühere Verlobte und amerikanische Doppelagenten trifft,
und der comicartig überzogene, humoristische und höchst selbstironische
„Lucky, el intrépido“ (1967), dessen Held sich am Ende
versehentlich selbst in die Luft jagt, scheinen – wie auch „La
Muerte silba un blues“ – im Gegensatz zu „Rififí
en la ciudad“ nicht einmal als spanische DVD vorzuliegen. Gut greifbar
ist dagegen der eher unbedeutende Nachzügler zum eher unbedeutenden
„Bésame Monstruo“ – „Sadisterotica“:
eine anspielungsreiche Variation von Cormans „A Bucket of Blood“
(1959) und den vorangegangenen Wachsfigurenkabinett-Filmen von Curtiz
und De Toth, in der zwei Detektivinnen einem obskuren Künstler und
(einmal mehr!) seinem entstellten Faktotum auf die Schliche zu kommen
trachten.
Von diesen Kriminalfilmen und Spionagethrillern sind es überwiegend
gerade nicht die bekannteren Titel aus den späten 60ern und frühen
70ern, mit denen Franco in internationalen Koproduktionen auf bereits
bestehende Filmreihen aufgesprungen ist – also nicht die Bryan Edgar
Wallace-Verfilmungen „Der Teufel kam aus Akasava“ (1971) &
„Der Todesrächer von Soho“ (1971), nicht die mit Christopher
Lee prominent besetzten Beiträge zur Fu Manchu-Reihe, nicht das reichlich
schluderige Dr. Mabuse Plagiat –, sondern die seit „Gritos
en la noche“ bis 1966 entstandenen spanischen oder spanisch-französischen
Streifen, in denen Franco sich als souveräner und routinierter Filmemacher
zeigt. Diesen Franco gilt es (nicht nur) hierzulande wiederzuentdecken...
es lohnt sich, auch wenn sich in ihm die typischen Francozismen des Hauptwerkes
kaum oder noch gar nicht zeigen!
...der kleine Dr. Marcuse!
Francos Beschäftigung mit den Superschurken verdankt
sich sicherlich in erster Linie seiner Vorliebe für reißerische
Genrefilme und Comics; aber wie so oft, wenn in mehr oder weniger deutlich
repressiven Gesellschaften Kunstwerke über tyrannische Machtmenschen
entstehen, liegt auch die politische Auslegung dieser Werke nahe. Franco
hatte sich nach Freigabe-Problemen seines Debut-Spielfilms ein wenig in
Selbstzensur üben müssen. Als er im Zuge sich lockernder Zensurbestimmungen
die ersten Horrorfilme inszenierte (und das als so ziemlich einziger spanischer
Filmemacher), da musste er für sein Heimatland mildere Fassungen
anfertigen; zudem hatte er die horriblen Ereignisse in anderen Ländern
anzusiedeln, um nicht als Nestbeschmutzer mit den Zensoren zusammenzustoßen;
bei der Arbeit an seinem Sequel zu „Gritos en la noche“ musste
er mit einem eingeschrumpften Budget leben und bei „Miss Muerte“
hatte er erheblich Mühe, den Film überhaupt umsetzen zu können...[8]
Man benötigt nicht viel Phantasie, um die diversen Unterdrückungsversuche
durch vielfältige Superverbrecher, die gerade auch in Francos im
Ausland entstandenen Filmen zwischen 1968 und 1969 deutlich zutage treten,
als Abrechnung Francos mit der Bevormundung durch die Zensur Franco-Spaniens
zu deuten. Durchgeführt werden solche Deutungsansätze –
gerade auch im Zusammenhang mit Portabellas subversiven „Cuadecuc
vampir“ – immer wieder an Francos „El Conde Dracula“
(1970): Lee/Dracula als Francisco Franco... der Diktator als Monster.[9]
(Und bezogen auf den Portabella bedeutete das dann auch: Lee, der sich
als Dracula in Szene setzt, als Francisco Franco, der sich als Diktator
in Szene setzt.) Wie „El Conde Dracula“ und „Cuadecuc
vampir“ nun tatsächlich (auch unbewusst) intendiert waren und
wie sie seinerzeit vom spanischen Publikum (auch unbewusst) aufgenommen
worden waren, sei dahingestellt. Die Existenz der Diskussion solcher Deutungsmöglichkeiten
allein zeigt bereits das subversive Potential von Francos despotischen
Figuren.
Neben der Repression durch die Schurken Dracula, Fu Manchu und Mabuse
als Bild eines repressiven Franquismus, kann in Francos Motivik zugleich
eine Rebellion gegen die Repression gesehen werden: „Jesús
Franco's interest in horror, in pornography, and in the pulp imagery of
superspies and musclemen can be seen as an effort to represent all that
the Fascist government had officially repressed.“[10] Und je zurückhaltender
die Filmzensur in Spanien (und nicht nur dort) auf Sex und Gewalt und
Blasphemie reagierte, je stärker Franco seine Arbeit als Filmemacher
nach Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Luxemburg, Belgien
usw. verlagerte, desto heftiger konnte diese Rebellion des Filmemachers
ausfallen – bishin zu Splatterszenen und Pornographie. Als rebellischer
Filmemacher setzt Franco ab Mitte der 60er mehr und mehr seine Große
Weigerung in Szene: Während der frisch auferstandene Dr. Mabuse durch
die Inhalte seiner Filme geisterte, schien Dr. Marcuse, eine der 68er-Ikonen,
in deren Form herumzuspuken. Wenn die Kunst – wie bei Marcuse angenommen
– die (dem Tabu unterworfenen) Urbilder der Freiheit entgegen des
jeweils geltenden Realitätsprinzips darlegt, dann ist Franco ein
gegen das Realitäts- & Leistungsprinzip rebellierender Künstler
par excellence: zumal er Ende der 60er Jahre damit beginnt, Eros den Todestrieb
absorbieren zu lassen (Marcuses große Utopie!)...
Diese Tendenz nimmt bereits in den Superschurken-Streifen ihren Anfang,
um sich schließlich mehr und mehr zu verselbstständigen –
unübersehbar ist die Tendenz Francos, die Bedrohung durch Miss Muerte,
durch Fu Manchu und Sumurun erheblich zu erotisieren: Miss Muerte verführt
ihre Opfer und infiziert sie über einen kleinen Kratzer mit ihrem
Fingernagel mit einem tödlichen Gift, Fu Manchu lässt seine
Widersacher von bildhübschen, aber leider giftigen Mädchen im
wahrsten Sinne zu Tode küssen und die dezent lesbische Amazonenherrin
Sumurun befehligt eine Armee schöner Frauen in aufreizender Fetisch-Kleidung,
die all jene Männer zu morden haben, die sich Sumurun nicht unterordnen
wollen. Was in diesen naiven Horrorfilmen und ironischen Science-Fiction-Thrillern
als erotisierte tödliche Bedrohung plakativ anmutet und von Franco
daher zumeist als Camp zelebriert wird, mutet dagegen in jenen Filmen,
die sich in erster Linie als Erotikfilme darbieten, subtiler an: die Liebe
bis zur Selbstaufgabe & -auflösung und die verschlingende, vollständig
vereinnahmende Liebe, die bei Franco vielfach vampiristische Züge
annimmt. In den 60er Jahren kamen bloß zwei solcher Francos heraus:
„Necronomicon – Geträumte Sünden“ (1967) und
„Paroxismus“ (1969).
„Necronomicon – Geträumte Sünden“ lief seinerzeit
ziemlich erfolgreich, wurde von Fritz Lang überschwänglich gelobt
und gilt inzwischen (mit seiner Gulda-Tonspur und den Lagerfeld-Kostümen)
als einer der großen Klassiker im ?uvre Francos: Lorna Green (Janine
Reynaud) räkelt sich als mörderische femme fatale durch nur
scheinbar tödlich endende S/M-Bühnenshows... privat wird sie
von Alpträumen heimgesucht, die auch Erinnerungen darstellen könnten;
in ihnen flirtet sie zu Beginn und mordet am Ende: die Opfer (darunter
Howard Vernon) sind im Nachhinein offenbar tatsächlich tot. Immer
wieder taucht ein unheimlicher Fremder auf, der Lorna in seiner Befehlsgewalt
zu haben scheint. Und Lornas Freund William (Jack Taylor) bietet nur scheinbar
Halt: tatsächlich ist er als sadistischer Voyeur bestrebt, sie zum
Sexualmord an ihren Bühnenpartnern zu verleiten – und sie anschließend
erschießen zu lassen. Alles scheint zu klappen: Lorna mordet, William
schaut zu und genießt, Lorna flieht, Schüsse im Off. William
fährt davon, daheim wartet jedoch Lorna auf ihn: ein letzter Kuss
– derweil schiebt sie ihm einen Dolch durch den Hals. Die Erschöpfung
danach: „Ruhe, nur Ruhe. Ich bin erschöpft. Ich will vergessen
und schweigen. Ruhe, Einsamkeit und Stille...“ Der mysteriöse
Fremde, zugleich der angeheuerte Auftragskiller, fährt sie anschließend
auf das Traumschloss ihrer Alpträume: „Ich werde Ihren Schlaf
bewachen.“ Einige Fragen bleiben offen: handelte es sich bloß
um tödliche Intrigen in der Dreiecksbeziehung zwischen drei sadistischen
Lustmördern? (Also eine Vorwegnahme seines hübschen „Eugenie“
(1970)...) Oder ist Lorna doch besessen oder gar ein übernatürliches
Wesen, ein „Succubus“ (so einer der Alternativtitel) und der
Fremde der Leibhaftige? Ein eingestreutes Märchen über einen
Prinzen, der eine unbekannte Fremde ehelicht (so schön, als wäre
sie nicht von dieser Welt!), sie einen Palast bauen lässt (ebenfalls
so schön, als wäre er nicht aus dieser Welt!) und von ihr eines
Tages plötzlich erdolcht wird, legt letztere Deutung nahe: die Frau
ergreift die Hand des Sterbenden und erinnert sich daran, den Palast bereits
gesehen zu haben – es war der Palast Luzifers. Nahezu alle Handlungsmomente
über Bord werfend, mutet der späte „Paula-Paula“
(2010) wie ein freies Remake an: das Märchen findet auch dort Verwendung
und bleibt so ziemlich der einzige Fixpunkt im völlig uneindeutig
geratenen Film – typischer Franco im Endstadium.
„Paroxismus“ ist dann der bis dahin beste Franco, höchstwahrscheinlich
gar sein Opus Magnum (Francos „Vertigo“) – und das trotz
gravierender Auflagen durch den Produzenten und die Verleiher: eine ganz
nebensächliche Sacher-Masoch-Episode, die sich auch im US-Titel „Venus
in Furs“ niederschlägt, ist von Produzentenseite gefordert
worden. (Immerhin: eine wahrhaft geile Szene, in der Klaus Kinski von
seiner Herrin zum Hahnrei gemacht wird...) Und aus der ursprünglichen
Beziehung zwischen einem farbigen Musiker und einer weißen Frau,
musste Franco eine Beziehung zwischen einem weißen Mann und einer
farbigen Sängerin machen: offenbar ging man beim US-Verleih seinerzeit
davon aus, sowas dem Kinopublikum nicht zumuten zu können; eine ekelhaft
rassistische Haltung, die zudem nicht weniger sexistisch ist. Herausgekommen
ist trotz aller Auflagen dann doch ein wundervoller Film: Jazz-Trompeter
Jimmy findet eine verstümmelte, angespülte Frauenleiche am Strand
– Wanda Reed. Einige Zeit zuvor hatte er fasziniert zugesehen, wie
einige sadistisch veranlagte Bekanntschaften von ihm (darunter eine Lesbe)
die halbnackte Wanda gedemütigt, gepeitscht und mit Messern geschnitten
haben. Als er dann in Rio eine Frau (im Pelz!) entdeckt, die Wanda bis
aufs Haar gleicht, kann er nicht mehr von ihr lassen – er beginnt
eine Affäre mit der Frau, die vorgibt, nicht zu wissen, wer sie ist...
Jimmy mutmaßt darin einen Distanzierungsversuch, die gemeinsame
Nacht scheint Beginn und Ende der Affäre zugleich zu sein –
doch die schöne Unbekannte entgegnet, für sie spielen Begriffe
wie Anfang und Ende schon seit langem keine Rolle mehr. Diese Haltung
teilt auch Jimmy selbst seit einiger Zeit und schließlich immer
häufiger. Wandas Peiniger werden derweil nach und nach von dieser
Frau aufgesucht, verführt und hingerichtet. Die Polizei ermittelt,
Jimmy will mit der Frau seiner Träume fliehen, verliert sie aus den
Augen, stößt auf Wanda Reeds Grabstein – und schließlich
(erneut am Strand) auf den eigenen angespülten Leichnam. Wie man
diese Liebe bis in den Tod konkret zu verstehen hat, bleibt unklar –
so unklar wie die teilweise extrem eingefärbten, verschwommenen Bilder
selbst: die Handlung wird von Rückblenden und Erinnerungen durchzogen,
der alles kommentierende Protagonist wird sich immer unsicherer, was wann
geschehen ist, die Verrätselung des Undurchsichtigen gelingt bestens.
Hat da der Liebhaber einer Verstorbenen selbst unbemerkt das Leben während
dieser Liebe ausgehaucht? Oder ist er bloß durch sie wahnsinnig
geworden? Oder trifft auch ihn als faszinierten Zeugen von Wandas Peinigung
eine schwere Schuld, die ihn nach dem Tode nötigt, die Ereignisse
immer wieder zu wiederholen: ohne Beginn und ohne Ende...?
Beide Filme verweigern sich eindeutigen Auslegungen und kreisen dabei
um Verschmelzungen von Liebe und Tod: in „Necronomicon – Geträumte
Sünden“ noch etwas weniger beeindruckend – nämlich
als Lust am Töten, als extremer Sadismus, wobei die interessantere
Variation schon eine Rolle spielt (nämlich als Abhängigkeit
Lornas vom Freund und vom Fremden, in der sie sich selbst völlig
bis zum Identitätsverlust verliert) –, in „Paroxismus“
schon weit vieldeutiger und subtiler. (Und auch die Form hat sich erneut
entwickelt: satte Farben, durchdacht eingesetzte Signalfarben, Farbfilter,
Verzerrungen des Bildes, artifizieller, rascher Schnitt neben chilligen
langen Einstellungen, jazzlastiger Soundtrack samt Titelsong-Ohrwurm...)
Franconomicon
Das Ende der 60er und der Anfang der 70er: dieser kurze
(aber in jeder Hinsicht spannende) Zeitraum stellt geradezu eine Art Konzentrat
nahezu aller Themen und Motive Francos dar – Zeit für eine
kleine Bestandaufnahme...
In „Necronomicon – Geträumte Sünden“ findet
ein Motiv, das Franco auch zuvor schon nutzte, eine beinahe systematische
Verwendung: das Wasser nämlich (das in anderen Francos besonders
als Meer in Erscheinung tritt). Es ist bei Franco mit seiner Vorliebe
für Strand-Szenarien mehr als bloß ein hübsches Postkartenmotiv.
Zu Anfang, in seinem Debutspielfilm, findet das Meer noch ganz zufällig
Verwendung; aber nun kommt ein System hinzu: Das Traumschloss Lornas,
in welches sie am Ende des Films zurückkehrt, liegt nicht zufällig
direkt am Wasser. Schon ihr letztes Liebesspiel mit William vor seinem
Verrat wurde von Franco durch ein Aquarium hindurch gefilmt. Das Filmplakat
verkündete seinerzeit: „Sie dürstet nach Liebe und ertrinkt
in der Lust.“ Was will Franco mit seiner Koppelung von Eros und
Wasser erreichen? Im Prinzip wird die Frage durch die Tagline bereits
beantwortet... Wenn die Liebe und die Erotik (wie der Tod) dazu beitragen,
dass der diskontinuierliche Mensch Kontinuität erfährt –
wie Bataille es formuliert –, dann ist das Wasser, in dem man ertrinken
kann, ein perfektes Bild für solch eine Kontinuität: im Wasser
verschmilzt jeder Tropfen mit den übrigen zu einer Einheit... im
Wasser kann man lückenlos eingeschlossen, vollkommen von ihm umgeben
werden... in den weiten des Meeres liegt zudem der Eindruck des Unbegrenzten.
„Paroxismus“ wird in dieser Hinsicht expliziter: Jimmy, der
sich in einem seltsam zeitlosen, zirkulären Strudel ohne Anfang und
Ende wähnt, orakelt immer wieder „I was trapped in a whirlpool“
oder „Time is like the ocean“. Das ist kein Zufall mehr, sondern
ein Leitmotiv: In „Christina, princesse de l'érotisme“
(1973) schreitet man am Ende im Tode vereint in einen Teich hinein, in
„La comtesse noire“ (1973) räkelt sich die Sexvampirin
Lina Romay unter den Augen des Voyeurs Franco in einer Badewanne in den
Tod, in „La comtesse perverse“ (1974) trägt der Mann
das tote Objekt seiner Begierde ins Meer hinein, wo er ertrinkend wieder
mit ihr vereint ist, in „Die Marquise von Sade“ (1976) stirbt
Lina Romay den lustvollen Tod im Pool, nachdem ihre zweite Hälfte
verstorben ist (und die Kamera zoomt so nah an die Vagina unter der Wasseroberfläche,
dass ihre Formen in den reflektierenden Wellen bis zur Unkenntlichkeit
verschwimmen), in „Die Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne“
(1977) wird ein Ufer überschwemmt, als ein Beichtvater seinen Orgasmus
bekommt, in „Mondo Cannibale“ (1980) kämpfen der künftige
Gatte und der Vater des Mädchens aus dem Dschungel in einem Fluss
um sie... Beispiele dieser Art lassen sich zuhauf finden. Aber die Verschmelzungsphantasien
von Liebe und Tod werden nicht durchweg direkt mit dem Wasser in Verbindung
gebracht – in „Vampyros Lesbos“ (1971) reicht schon
das bloße anfängliche Zoomen auf das weite Meer um die existenzgefährdende
Verführung durch die geile Vampirin einzuleiten; es ist im Grunde
unnötig, dass Franco dann noch einige der Verführungskünste
am Strand in Szene setzt... Und vielleicht liegt in dieser metaphorischen
Aufladung des Wassers und des Meeres auch der Grund dafür, dass der
Succubus Lorna in „Les Possédées du diable“
(1974) Krebse im Schambereich einer Frau auftauchen lässt und eines
seiner Opfer von Howard Vernon mit einem Riesenmuschel-Schlagring bearbeiten
lässt.
Ein anderes Motiv erhält in „Necronomicon – Geträumte
Sünden“ seine mehr oder weniger endgültige Form: aus den
Revuemädchen-Auftritten der frühen Filme wurden über die
Nachtclub-Auftritte der „Miss Muerte“ die sadomasochistischen
Bühnenshows, die Franco immer wieder inszenieren sollte. Die mit
Messerklingen oder Peitschen hantierenden Frauen, die gefesselte Männer
und Frauen malträtieren und mit ihnen vor einem schaulustigen Publikum
schaurig-schöne Lustmorde inszenieren, tauchen immer wieder auf:
in „L'Éventreur de Notre-Dame“ (1974) in der reinsten
Form, in „Paula-Paula“ etwas abstrakter. Unreine Variationen
finden sich in den zahlreichen Frauengefängnis-Filmen, von denen
Franco nach den frühen Fingerübungen „Der heiße
Tod“ (1969) und „Quartier de femmes“ (1974) noch zahlreiche
folgen ließ: in der Regel fehlt in ihnen der Show-Charakter, es
fehlt das Publikum, wenngleich der Charakter des inszenierten Rollenspiels
mitunter gewahrt bleibt – in „Frauengefängnis“
(1975) tritt das ganz deutlich zutage, wenn die Lageraufseherin eine Insassin
dazu nötigt, sie beim Sex zu ohrfeigen... Was im Striptease (der
sich durch die allermeisten Francos zieht), im Rollenspiel, im sadistischen
oder sadomasochistischen Akt nur zersplittert aufscheint, das zeigt sich
in den S/M-Bühnenshows in seiner ganzen Vollkommenheit: Hier wird
nicht nur eine Erotik ausgelebt, deren Ideal die völlige Auflösung
ist (der feuchte Traum des Masochisten, der nur Traum bleiben will: Lusterfahrung
bis in den Tod, den der/die Geliebte schenkt), sondern auch gleich die
Inszenierung und Rezeption dieser Erotik. Was Franco in anderen Filmen
relativ ungebrochen inszeniert (etwa die Verführungen & Morde
in „Paroxismus“ oder im wirklich schönen „Sie tötete
in Ekstase“ (1971)), das gerät hier zur Inszenierung in der
Inszenierung, zur Selbstbespiegelung, wobei der Zuschauer sich selbst
im Performance-Publikum in den Filmen wiedererkennen und seine eigene
Rolle reflektieren kann. In „Eugénie“ (1975 aufgeführt,
1970 gedreht) wird Franco wohl am deutlichsten: er selbst stößt
als Ermittler auf einen Snuff-Film und betrachtet daraufhin quasi das,
was er dem Kinopublikum die ganze Zeit präsentiert hat.
In „Necronomicon – Geträumte Sünden“ tritt
auch Francos Beschäftigung mit der Hochkultur so deutlich zutage,
wie in kaum einem anderen seiner Filme. Diese Thematik taucht –
gerade in den späteren Werken – eher selten und zurückhaltend
auf: manchmal in den Soundtracks, die nicht nur aus psychedelischen Klängen
und Jazz, sondern beispielsweise auch aus Liszt („Sinfonía
erótica“ (1980)) bestehen, in Dialogen (etwa Geplauder über
Boris Vian in „Le miroir obscène“ (1973) oder augenzwinkernde
Anspielungen auf Bresson in „Miss Muerte“), in Montage-Eskapaden
im Stil der nouvelle vague (etwa im Kriminalklamuak „Midnight Party“
(1975))... Eine Ausnahme stellt sicher die Cervantes-Verfilmung „Don
Quijote de Orson Welles“ (1992) dar, bei der es sich jedoch bloß
um eine (eher ärgerliche) Vollendung eines von Orson Welles nicht
beendeten Filmprojekts handelt.[11] In der Regel überwiegte allerdings
eine Konzentration auf einige wenige (und nicht immer hochkulturelle)
kanonisierte Werke der phantastischen und der erotischen Literatur (auf
Le Fanus lebische Vampirin, auf Dracula und Frankenstein, auf de Sade,
Sacher-Masoch, Pauline Réage)... „Necronomicon – Geträumte
Sünden“ lässt ahnen, dass Francos Interessen breiter gefächert
waren: Der Vorspann legt Friedrich Gulda über Ausschnitte von verschiedenen
Gemälden – Cranach und Bosch lassen sich leicht ausfindig machen,
alles zuzuordnen fällt jedoch schwer (zu klein die Ausschnitte, zu
schnell montiert) –, wobei die Collage aus freien Brüsten,
Blicken, Blut und Totenschädeln einige Elemente des Films vorwegnimmt.
Im weiteren Verlauf wird Adrian Hoven in einer recht schwachen Variation
der orgiastischen Feiern in Fellinis „La dolce vita“ (1959)
ein bisschen Goethe zitieren... Mit statischen Einstellungen, in denen
die Figuren gemeinsam in die Kamera (oder mit dem Rücken zueinander
in vollkommen verschiedene Richtungen) schauen, während sie (folglich
ohne Blickkontakt) miteinander reden, lässt Franco Godard anklingen...
(Und in „Paroxismus“ wird er noch deutlicher mit Einstellungen,
in denen die Figuren erstarrt und steif verharren, Resnais, Robbe-Grillet
und ihrem „L'Année dernière à Marienbad“
(1961) huldigen.) Zwischendurch spielen Vernon und Reynaud Assoziationsspielchen
mit Stripeinlagen – mal clever („Hitchcock – Auge“),
mal platt („Geschichte von O – Georges Bataille“): auf
Vernons „Godard“ entgegnet Reynaud noch „Zitrone“,
nach „Robbe-Grillet“ jedoch ist sie sprachlos und gibt ihr
erstes Kleidungsstück ab... Dass Franco Robbe-Grillet nahe stand,
verwundert angesichts der gemeinsamen Vorliebe für spielerisch inszenierte
S/M-Erotik wenig; das Verhältnis zu Godard ist weniger offensichtlich:
doch ehe man die Zitrone jetzt als Schmähung interpretiert, sollte
man sich nicht nur Francos Godard-Variation „Cartes sur table“
in Erinnerung rufen, sondern einfach jene Sequenz abwarten, in der dann
schließlich diese schöne Äußerung fällt: „Bunuel,
Fritz Lang, Godard sind nicht veraltet: sie haben gestern Filme gedreht
für morgen und jeden Tag lernen wir sie besser verstehen.“
(Wen wundert es da, dass Fritz Lang „Necronomicon – Geträumte
Sünden“ zum wunderschönen Stückchen Kino deklarierte.)
Diese Nähe zu Godard verwundert weniger, wenn man an dessen zugleich
ernsthafte & unernste Art denkt – und an dessen Vorliebe, ganz
ungeniert zwischen Hoch- und Populärkultur zu wechseln... es besteht
in dieser Hinsicht durchaus eine Überschneidung zwischen dem frühen
(1960-1967) Godard und dem Franco der späten 60er und frühen
70er Jahre.
In der Phase der späten 60er und frühen 70er finden sowohl noch
die Motive des klassischen Horrorfilms, an denen sich Franco zuvor schon
spürbar orientierte, als auch die Motive des Sadomasochismus, dem
er sich fortan bevorzugt widmen sollte. In „Necronomicon –
Geträumte Sünden“ treten Lugosi-Dracula, Frankensteins
Karloff-oder-Glenn-Strange-Monster, das Lon-Chaney-Phantom der Oper (und
Godzilla) als Miniaturfiguren auf; handlungsrelevanter geben sich die
Anleihen beim klassischen Horrorfilm in „El Conde Dracula“,
„Vampyros Lesbos“, „Drácula contra Frankenstein“
(1972), „La Maldición de Frankenstein“ (1972), „La
Fille de Dracula“ (1972) und „La Comtesse noire“. In
den back to back-Produktionen „La comtesse perverse“ und „Plaisir
à trois“ (1974) hallen spürbar Schoedsacks „The
Most Dangerous Game“ (1932) bzw. Curtizs „Mystery of the Wax
Museum“ (1932) nach – ebenso lassen sich in „Bésame
Monstruo“ Spuren des Curtiz-Klassikers und dessen Corman-Plagiat
finden, sowie eine Huldigung Mario Bavas in „Necronomicon –
Geträumte Sünden“. Von den Gestalten des klassischen Horrorfilms
und seinen literarischen Vorbildern lässt Franco in späteren
Filmen ebenso ab, wie von den bereits angesprochenen Superschurken: nur
noch sporadisch tauchen Anleihen bei Oscar Wilde („Die Marquise
von Sade“), E. A. Poe („La Chute de la maison Usher“
(1980)), Bram Stoker („Macumba Sexual“ (1982)), Mary W. Shelley
(„Lust for Frankenstein“), J. S. LeFanu („Vampire Blues“
(1999)) oder R. L. Stevenson („Paula-Paula“) auf – und
bleiben dabei oftmals nahezu unsichtbar. (Eine kurzes Aufleben lässt
sich allerdings zwischen 1996 und 1999 beobachten.) Der Sadomasochismus,
der mit „Necronomicon – Geträumte Sünden“
in sein Werk tritt, zieht sich fortan allerdings wie ein roter Faden durch
Francos ?uvre: sowohl in Francos Arbeiten unter dem Produzenten Towers[12],
als auch in den qualitativ eher minderwertigen Arbeiten für Erwin
C. Dietrich[13] lassen sich sadomasochistische Figurenbeziehungen (oder
sadistische, die der Zuschauer als sadomasochistische Phantasie genießen
kann) zuhauf finden. Künstlerische Höhepunkt bilden auf diesem
Gebiet die dazwischen entstandenen Arbeiten für Robert De Nesle (der
auch George Franjus „Judex“ (1963) produzierte): „Plaisir
à trois“ und „La comtesse perverse“ gehören
zu Francos schönsten Filmen über sadistisches Verlangen. Eine
speziellere Ausformung dieses Motivs stellt de Sade dar: Franco beginnt
eine Reihe von de Sade-Verfilmungen mit „Marquis de Sade: Justine“
und lässt etliche Titel folgen: „Eugenie“, „Eugènie“,
„Justine“ (1979), „Eugenie (Historia de una perversión)“
(1980)... und auch „La comtesse perverse“, „Plaisir
à trois“, „Sinfonía Erótica“, „Gemidos
de placer“ (1983) stellen deutliche de Sade-Variationen dar.
Ende der 60er, Anfang der 70er findet Franco auch zwei Elemente, mit denen
er fortan den erotischen Film an den Horrorfilm kitten wird: das Blut
und den psychic link. Blut spielt in Francos erotischen Filmen eine weit
größere Rolle als manch andere Körperflüssigkeiten:
weder Sperma, noch Urin (den Franco ab Mitte der 70er Jahre beispielsweise
in „Cocktail spécial“ (1978) oder „Falo Crest“
(1987) ausgiebig in Szene setzt), sondern das Blut stellt für Francos
erotischen Filme die ideale Körperflüssigkeit dar, ist doch
die Verheißung des Todes, des Selbstverlustes in diesem Bild besonders
präsent. In der Regel konzentriert sich Franco auf Verwundungen,
die ab „Necronomicon – Geträumte Sünden“ immer
wieder in sexueller Ekstase zugefügt werden: in den Folterszenen
der Nonnenfilme und Hexenjägerfilme, der de Sade Verfilmungen, der
Frauengefängnisfilme... das schönste Bild findet Franco jedoch
in „Les Possédées du diable“ (überhaupt
einer seiner besten Filme): Pamela Stanford ergreift dort als verführerischer,
dämonischer Succubus mehr und mehr Besitz von ihrem Opfer Lina Romay
und entjungfert die junge Frau in einer Szene mit einem Dildo, um im Anschluss
das Blut der Entjungferten von diesem zu lecken. Die psychic link-Thematik
ist ein nicht weniger doppeldeutiges, zwischen Erotik und Horror, zwischen
Leben und Tod vermittelndes Element: Was in den Dr. Orloff- & Superschurken-Filmen
der 60er Jahre als allmächtiges Fernsteuern und Befehligen von willenlosen
Sklaven Verwendung fand, wird später immer stärker in die Richtung
der positiv konnotierten Geistesverwandtschaft zwischen Liebenden gedrängt.
Der Schrecken des Besitzergreifens bindet sich an die Lust der Verschmelzung:
In „Les Possédées du diable“ ist Lina Romay
von der geilen Verlockung schlussendlich wahrhaft besessen, im romantisch
verbrämten „La comtesse noire“ ruft Lina Romay als lüsterne
Sexvampirin ihre Partner und Opfer im Geiste zu sich.[14] In „Paula-Paula“,
einem nochmals unerwartet hochwertigen Franco im neuen Jahrtausend, wird
dieses Thema dann in sein Extrem getrieben werden.
Was ließe sich noch an zentralen Motiven finden, die sich im Wechsel
dieser Jahrzehnte niederschlagen? Erstens: Die Architektur. Rückt
Franco, der schon in den ersten Filmen seine Gebäude vielfach aus
schrägen Kamerapositionen verklärend betrachtete, in „Necronomicon
– Geträumte Sünden“ das Traumschloss Lornas bereits
ausgiebig ins rechte Bild, so ist es in seinen Arbeiten für De Nestle
vor allem Ricardo Bofills Villa El Xanadu, welche Franco mehrfach in seinen
Filmen voller Bewunderung einzufangen weiß. Noch in den 80er Jahren
zieht Franco seine ästhetizistischen Bildkompositionen aus der Inszenierung
der Architektur: in „Macumba Sexual“, „La Orgías
inconfesables de Emmanuelle“ (1982) oder „Gemidos de placer“
widmet er sich mit Elan der ungewöhnlichen Architektur – Franco
wirkt dann ein wenig wie der kleine Antonioni des Exploitationkinos, wenngleich
seine Architekturinszenierungen recht selbstzweckhaft bleiben –
und selbst in einem ziemlich schlechten Gruselsexfilm wie „La Mansión
de los muertos vivientes“ (1982) ist der artifizielle Umgang mit
der Außenfassade eines Hotels unübersehbar.
Zweitens: Die Musik. Francos Faible, Musiker in Nachtclubs oder Bars bei
ihrer Arbeit einzufangen, war von Anfang an bemerkbar. Klassik, Jazz,
psychedelic music von Hübler und Schwab und schließlich Punkrock
von den Killer Barbies und den Ärzten ziehen sich durch seine Filme.
Die Musik bekommt oftmals eigene Auftritte, soll heißen: sie begleitet
die Tanz- und Striptease-Nummern, die Sexszenen; in der Nummernrevue etlicher
Francofilme ist die Musik gerade in diesen Nummern von großer Bedeutung.
Komponiert wurde sie ab „La Mano de un hombre muerto“ in den
allermeisten Fällen von Daniel White. Nicht zuletzt Francos Entscheidung,
von Jesus Franco auf Jess/Jazz Franco umzusteigen[15] und Clifford Brown
als eines seiner Pseudonyme zu wählen, weist auf sein Faible für
Musik, insbesondere Jazz hin. (Rosa Maria Almirall Martínez weist
mit ihrem Künstlernamen Lina Romay eine ähnliche Vorliebe auf.)
In vielen Filmen ist Franco, der auch an etlichen seiner Soundtracks mitgewirkt
hat, als Musiker zu sehen.
Drittens: Zoom. Weitwinkel. Gerade um 1970 herum verselbstständigt
sich Francos Einsatz von Zooms und Weitwinkelobjektiven. Der häufig
als billigere Ersatz der Kamerafahrt missverstandene Zoom, der heutzutage
an den Fachhochschulen geradezu als Fehler verschrieen ist, erfüllt
wie die Weitwinkelaufnahme (und manche Bildverzerrungen und Farbfilter)
Francos Anliegen, das Bild noch artifizieller erscheinen zu lassen. Die
„experienca audiovisual“, die Franco in „Paula-Paula“
vermitteln wollte, war schon immer eines seiner Ideale. Die Kameraarbeit
betont sich selbst immer mehr: Zooms finden immer häufiger Verwendung
(in ein- und derselben Einstellung zoomt er mitunter mehrfach vor und
zurück), Weitwinkel werden immer stärker betont, indem Franco
die Kamera vor einem Objekt in Großaufnahme kreisen lässt,
hinter dem der Hintergrund gut sichtbar bleibt. Was 1974 in „La
comtesse perverse“ hysterisch aufspielende Höhepunkte erreicht,
klingt dann später in den 70er Jahren wieder ein bisschen ab. Ende
der 90er Jahre sind es dann die einfachsten Mittel digitaler Bildverfremdung,
mit denen Franco experimentiert. Es wird sich zeigen, ob diese momentan
billig wirkende Ästhetik in späteren Jahren aus der zeitlichen
Distanz heraus einen ähnlich kultigen Look erreichen wird, den heute
Francos Zoom- & Weitwinkelexzesse besitzen.
Viertens: Cameoauftritte des Regisseurs. Ab Anfang, Mitte der 60er huscht
Franco immer wieder durch seine eigenen Filme. Ein kleines Markenzeichen
wie bei Hitchcock. War er zu Beginn häufiger bloß als Musiker
(als Pianist in „Secreto del Dr. Orloff“, als Saxophonist
in „Paroxismus“) ein Statist, so wurden später auch handlungsrelevante
Nebenrollen daraus. Recht selbstreflexiv spielt er Voyeure in „La
comtesse noire“ oder „Eugènie“, weit lieber scheinen
ihm aber jene Rollen zu sein, in denen er als geistesschwacher Depp, als
schmieriger oder erfolgloser Wicht im Kontrast zur schönen, starken
Frau (meist Lina Romay) steht
Fünftens: Die Musen. Soledad Miranda und Lina Romay stellen wohl
Francos größten Musen dar. Erstere tauchte schon kurz in „La
Reina del Tabarín“ auf, arbeitete aber erst 1969 und 1970
wie am Fließband in sechs, sieben weiteren Francos mit (sechs Spielfilme,
ein Kurzfilm), ehe ihr ein Autounfall kurz vor dem 28. Geburtstag das
Leben kostete. Unvergessen bleibt sie als lesbische Vampirin in „Vampyros
Lesbos“ und mordende Verführerin in „Sie tötete
in Ekstase“. Nach ihrem Tod fand Franco in Lina Romay eine Nachfolgerin:
er lernte sie als Darstellerin in seinem „La Maldición de
Frankenstein“ kennen und besetzte sie fortan in einem Großteil
seiner Filme – auch privat fanden beide zueinander und gaben dafür
jeweils ihre bereits bestehenden Ehen auf. Neben diesen großen Damen
des Francofilms gibt es noch die kleinen Musen: Janine Reynaud –
keck und frech, sinnlich und stark; Maria Rohm – mal sadistische
Täterin, mal Opfer (als zerbrechliches Opfer entfaltete die Ehefrau
des Produzenten Towers am stärksten ihren sex appeal); Alice Arno
& Monica Swinn – beide am überzeugendsten als genießende
Sadistinnen und strenge Herrinnen; Katja Bienert & Susan Hemmingway
– beide in der Regel die junge Unschuld; Ajita Wilson – die
herrische, starke, dunkelhäutige, exotische Schönheit (als Mann
geboren, als Transvestit zum Star avanciert, als Frau ein Star geblieben...
Franco hat Wilson wie Soledad Miranda durch einen tödlichen Autounfall
verloren als sie gerade 37 Jahre alt war); Pamela Stanford – die
in blassen Rollen nicht recht zur Geltung kommende schlanke Schönheit
hinterlässt zumindest in ihrer Rolle als grotesk geschminkter Succubus
in „Les Possédées du diable“ nachhaltigen Eindruck;
Montserrat Prous – hübsch und meistens faszinierend entrückt,
seltsam unbeteiligt. Mittendrin noch Francos vorübergehende Lebensgefährtin
Nicole Guettard und seine Stieftochter Caroline Rivière, die großen
und kleinen Stars (Maria Schell, Brigitte Lahaie, Linnea Quigley, Michelle
Bauer, Silvia Superstar) sowie all die im Grunde austauschbaren Modells,
Playmates oder porno actrices: Ursula Buchfellner, Peggy Markoff, Karine
Gambier, Kali Hansa, Nadine Pascal, Analía Ivars, Carmen Carrión
usw. (...und in der Regel heißen sie Melissa, Lorna, Justine: Verknüpfungspunkte
zwischen Francofilmen.) Hier zeigt sich dann wieder die kommerzielle Seite
von Francos rebellischer Erotik: auch dass seine Partnerin Lina Romay
mit zunehmendem Alter und Gewicht in den Filmen ab Ende der 90er langsam
aber sicher durch etwas jüngere, schlankere Frauen (Carmen Montes,
Fata Morgana, Rachel Sheppard, Paula Davis) ersetzt worden ist, macht
auf die konventionellen und auch kommerziellen Aspekte aufmerksam, die
Francos eigenwilliges Werk letztlich doch durchziehen.[16]
...Francophile...
In Frankreich mit seiner interessanten Filmlandschaft kann
Franco einige Höhepunkte in seinem ?uvre verbuchen. Nach einer weitestgehend
konventionell anmutendenden, aber insgesamt sehr soliden Phase unter Towers
– mit dem ungewöhnlichen „Paroxismus“ als Höhepunkt
– und einer eher trashigen Phase bei Artur Brauner[17] – mit
dem kultigen „Vampyros Lesbos“ als Höhepunkt –
folgt die künstlerisch recht unabhängige Phase in Frankreich.
Für Franco, der 1970 in der liechtensteinischen Produktion „Les
Cauchemars naissent la nuit“ die Tendenz aus „Necronomicon
– Geträumte Sünden“ & „Paroxismus“
fortzusetzen trachtete (nämlich die Tendenz, Realität und Phantasie
zu verwischen und narratives, lineares Kino zu umgehen), bot die französische
Phase mehrfach Möglichkeiten, aus der Narration des konventionellen
Kinos auszubrechen; sei es durch die Vermischung von Realität und
Imagination, durch die Vermischung von Vergangenheit und Gegenwart, durch
eine Erhöhung des Episodenhaften oder durch eine extreme Dehnung
einzelner Momente im Fluss der Handlung.[18]
In dieser Phase entstehen Perlen wie „Le fille de Dracula“,
„Le miroir obscene“, „Plaisir à trois“,
„La comtesse perverse“ und „Les Possédées
du diable“... und selbst etwas schwächere Filme dieser Phase
sind – wie „Les dèmons“ (1972), „Christina,
princesse de l'érotisme“, „La comtesse noire“
oder „L'Éventreur de Notre-Dame“ – durchaus noch
reizvoll.[19]
„Les dèmons“, ist Francos Beitrag zur Hexenjäger-
& Nunsploitation-Welle in den frühen 70ern. Hier gerät allerdings
der antiklerikale Impetus etwas uneinheitlich, insofern Franco seinen
Hexenjägern tatsächliche Hexen gegenüberstellt (welche
allerdings als „Sklavinnen des Bösen“ trotz Teufelspakt
auch nicht schädlicher auftreten als ihre Umgebung): herausgekommen
ist daher ein äußerst lustvoller Protest gegen die Lustfeindlichkeit
der Kirche, der sich aber mit seinen phantastischen Elementen unnötig
verzettelt. Auf formaler Seite weisen die recht konventionelle Spannungsdramaturgie
und die sehr sorgfältige Ausstattung die Vorzüge der Towers-Phase
auf und verbinden sie mit den gestreckten, freizügigen und sinnlichen
Erotikszenen des neueren Francos; ein Übergangswerk quasi, das aber
kaum auf jene Qualitäten schließen lässt, die Franco in
seinem französischen Zwischenspiel noch entwickeln sollte.
„Le fille de Dracula“ ist wie der etwa zeitgleich entstandene
„Les dèmons“ noch ein wenig der Ästhetik der Towers-Phase
verhaftet, kombiniert sie aber mit extremen Nah-Aufnahmen, mit Einstellungen,
die durch spiegelnde Fensterscheiben hindurch auf ein Geschehen blicken
lassen, mit hektischen Handkamerabewegungen durch Wälder im Herbst
und sanften Schwenks über das rauschende Meer, mit unscharfen Bildern,
einer stärkeren Betonung der Weitwinkelaufnahmen und einem deutlich
angestiegenen Grad nackter Haut. Das Projekt, das quasi ganz nebenbei
als Schnellschuss-Improvisation auf die etwas konventionelleren Streifen
„La Maldición de Frankenstein“ und „Drácula
contra Frankenstein“ entstanden ist, profitiert von der entsprechend
freien, offenen Arbeitsweise, die sich von den intensiver durchgeplanten
Vorgängern spürbar unterscheidet. Herausgekommen ist ein schillernder
Mix aus klassischem Horrorfilm und Jean Rollin, eingefangen in Francos
zoom- & weitwinkelreicher Kameraführung (und 30 Jahre später
mit neuer Musik unterlegt).
„Christina, princesse de l'érotisme“ – für
den Jean Rollin noch einige Zombie-Szenen beisteuerte – ist im Jahr
darauf ein dem Gothic Horror verwandtes Gruselstück um eine junge
Frau, die aufgrund einer Erbschaftsangelegenheit das Schloss ihres verstorbenen
Vaters aufsucht; inmitten des abgelegenen, wild umwucherten Anwesens scheinen
jedoch ganz eigene Regeln zu gelten: der Vater spukt als Geist umher,
die Verwandschaft scheint nicht so recht von dieser Welt zu sein und einige
Erotik- und Horrorszenen später wird der Protagonistin klar, dass
eine obskure Königin der Nacht, mit der sich die Familie abgibt,
nach ihrem Vater nun auch sie selbst ins Totenreich zu führen gedenkt.
Es finden sich vereinzelt ein paar Geschmacklosigkeiten und Stilbrüche,
die fremdartige, wahnhafte Atmosphäre, die über weite Strecken
des Films besteht, entschädigt jedoch dafür. Charakteristisch
für den Franco dieser Phase sind die langen Monologe, die hier die
gemächlichen Autofahrten begleiten und recht angestrengt, aber nur
bedingt erfolgreich eine elegische Stimmung zu erzeugen trachten.
Diese elegischen Autofahrten befinden sich im selben Jahr auch in „La
comtesse noire“. Hier saugt Lina Romay als Gräfin Irina von
Karnstein aus ihren männlichen Opfern nacheinander Sperma, Blut und
Leben, macht sich allerdings auch über weibliche Opfer her. Während
die Polizei in der daraufhin entstehenden Mordserie ermittelt, ist es
Jess Franco höchstpersönlich, der einen Fall von Vampirismus
vermutet. Letztlich stößt er aber nur noch auf die –
nach einer einschneidenen Begegnung mit einem jungen Poeten – in
ihrer Badewanne ihr Leben aushauchende Vampirin. Auch wenn der Film reich
an Momenten schluderigen Handwerks ist – so rennt Romay einmal mit
dem Kinn an die Kameralinse –, so gibt es doch „Szenen darin,
die in ihrer Erotik geradezu unbeschreiblich sind und zu einem großen
Teil auf der Ausstrahlung der nackten Lina Romay beruhen.“[20] Das
Ganze lässt sich soft- oder hardcore-Version genießen.
Im selben Jahr entsteht mit „Le miroir obscene“ dann eines
der kleinen Meisterwerke Francos: Je nach Version (es gibt eine spanische,
eine französische und eine italienische) sieht sich die junge Protagonistin
(Emma Cohen) nach dem (vor ihrer Hochzeit durchgeführten) Suizid
des Vaters bzw. der Schwester von diesem/dieser über einen geheimnisvollen
Spiegel heimgesucht und lässt sich in der Folge zu mehreren Morden
verleiten. Der inzestuös aufgeladene Stoff ist dank Emma Cohens darstellerischer
Leistung (womöglich Francos talentierteste weibliche Hauptrolle)
und der vielschichtigen Symbolik des Spiegels ein durchaus komplexes psychologisches
Drama über Verlust, Lust und Schuld, das zudem einmal mehr Schaulust,
Projektion & Phantasie im Kino reflektiert. In „Paula-Paula“
wird Franco fast 40 Jahre später auch das Motiv des Spiegels erneut
aufgreifen und auf seinen Kern zuspitzen.
„Plaisir à trois“ und „La comtesse perverse“
fallen – im Jahr darauf – in ihrer Narration wieder ein wenig
konventioneller aus, besitzen aber hohe formale Qualitäten und stellen
anregende Behandlungen des Sadismus dar: Beide Filme variieren de Sade
und reichern ihre Geschichten mit deutlichen Bezügen auf den Horrorfilm
der 30er Jahre an – einmal etwas beliebiger auf „Mystery of
the Wax Museum“, einmal recht sinnvoll auf „The Most Dangerous
Game“ – um im Fall von „Plaisir à trois“
eine recht konsequente und zugleich schwarzhumorige Schilderung einer
wirklich sadistischen Dreiecksbeziehung zu liefern und im Fall von „La
comtesse perverse“ eine Unterscheidung zwischen sadistischen und
sadomasochistischen Gelüsten zu liefern. Besonders mit „La
comtesse perverse“ gelingt Franco ein beachtlicher Höhepunkt
seiner 70er Jahre Ästhetik: Mode, Architektur, Musik, Weitwinkelobjektive
und flexible Kamerabewegungen machen aus dem Film ein hysterisch aufspielendes
pièce de résistance in Francos ?uvre. Und wenn die Dramaturgie
auch wieder eine Spur konventioneller gerät, so wird sie doch zumindest
immer wieder von der Form an den Rand gedrängt.
„L'Éventreur de Notre-Dame“ ist ein kurioser kleiner
Reißer, in dem Franco seinen Antiklerikalismus am weitesten treibt.
Dieser hatte längst dazu geführt, dass die katholische Kirche
Franco neben Bunuel als den gefährlichsten Filmemacher bezeichnete.
Hier ist Franco (in einer seltenen Hauptrolle) ein lüsterner Ex-Priester
mit Schuldgefühlen, der erst als Voyeur verdorbene Mädchen beobachtet,
um diese anschließend für ihre Vergehen zu bestrafen. Neben
kruden Splatterszenen und einigen (Gruppen-)Sexszenen gehören dann
auch gerade jene Momente, in denen Franco in Kirchengewändern nackte
Frauen fesselt und foltert, zu den denkwürdigsten des Films: während
die Kameraarbeit (einmal mehr in extremen Weitwinkelaufnahmen) vergleichsweise
ruhig und still anmutetet und die Musik sehr zurückhaltend eingespielt
wird, sorgt Francos selbstironisches und provozierendes Spiel für
die eigentlichen Highlights. Dass eines seiner Opfer von seiner Stieftochter
Caroline Rivière verkörpert wird, lässt den Film nochmals
eine Spur skandalöser wirken.
„Les Possédées du diable“ ist dann – kurz
vor Francos umfangreicher, aber wenig befriedigender Zusammenarbeit mit
Erwin C. Dietrich – einer seiner schönsten Filme: eine auf
enthüllende Rückblenden setzende Geschichte lässt den Zuschauer
lange Zeit im Unklaren über das, was eigentlich genau passiert, und
zahlreiche in die Länge gedehnte Episoden stellen die jeweiligen
Situationen in ihrer Sinnlichkeit über das Voranschreiten einer Geschichte,
die zudem um eine inhaltlich eher unnötige Nebenhandlung ergänzt
wird. Eine Geschichte gibt es aber dennoch, auch wenn sich beinahe die
ersten zehn Minuten des Films zum schlichten, aber wundervollen musikalischen
Leitmotiv einer zögerlichen Sexszene zwischen Pamela Stanford und
Lina Romay widmen: Patrick Mariel hat einst aus der Not heraus einen Pakt
mit einer Teufelin namens Lorna (Stanford) geschlossen... nun ist er zwar
ein erfolgreicher Familienvater, die Tochter Linda (Romay) jedoch soll
am 18. Geburtstag Lorna gehören. Patrick will seinen Teil des Vertrags
nicht erfüllen – Howard Vernon schlägt ihn mit einem Muschelschlagring
zusammen, seine Gattin wälzt sich kreischend durchs Bett, als aus
dem Nichts kleine Krebse in ihrem Schambereich auftauchen. In einer Anstalt
hat eine Wahnsinnige seltsame Anfälle und Patricks Tochter wird mehrfach
von Lorna verführt, die ihr schließlich alles vom Pakt mit
dem Vater erzählt. Dann eine Art Ende des ganzen Spuks: Patrick erschießt
Lorna, zeitgleich verstirbt die wahnsinnige Anstaltsinsassin, in Tochter
Linda lebt jedoch der Geist Lornas weiter und die Tochter ersticht den
Vater. Eine Faust-Variation? Eine Huldigung töchterlichen Ungehorsams
gegen die heterosexuelle Matrix verständnisloser Väter? Eine
Parabel auf das Weiterleben der Toten im Gedächtnis der Lebenden?
Ein rip-off von Friedkins „The Exorcist“? Oder von allem ein
bisschen? Betörend schöne Drehorte mit einer dekorativen Architektur,
die Franco auch dazu nutzt, um Zeitsprünge zu veranschaulichen, die
Rolle des Meeres und des Blutes in dieser bizarren Liebesgeschichte zwischen
Faust-Stoff, Vampirismus- & Besessenheitsgeschichte, die vollkommen
entspannten Sexszenen zur einlullenden Musik de Nestles und Bénichous,
das groteske Make-Up Lornas – „Les Possédées
du diable“ ist ein bizarrer, poesievoller Franco und knapp hinter
„Paroxismus“ einer seiner gelungensten Filme. Während
in „Paroxismus“ jedoch eine bedeutungsschwangere Atmosphäre
herrscht, die durch „Vertigo“-Anleihen, einige Monologe und
die teilweise düsteren Ereignisse verursacht wird, dominiert in „Les
Possédées du diable“ ein ganz leichtfüßiger
Tonfall.
Im Gefängnis
Es folgen ab 1975 drei insgesamt doch eher enttäuschende
Jahre. Mit seiner Arbeit für den Produzenten Dietrich setzt eine
kurze Phase eines besonders kommerzorientierten Exploitationkinos ein:
in seiner künstlerischen Entfaltung eingeengt, in den finanziellen
Mitteln auf kleinem Fuße stehend, liefert Franco eher schwache Filme
ab, die bei der Kritik noch zusätzlich auf Ablehnung stießen,
weil seine sadomasochistischen Frauengefängnisfilme auf den ersten
Blick (und bei einigen Kritikern offenbar auch auf den zweiten und dritten
Blick) moralisch verwerflich anmuteten.
Von den 14, 15 Filmen, die Franco unter Dietrich gedreht hat, stellen
fünf, sechs Filme relativ reine Frauengefängnisfilme dar; zwei,
drei Filme stellen zumindest lose Variationen dieses Themas dar. Die restlichen
Filme sind zumeist noch die gelungeneren und „Jack the Ripper –
Der Dirnenmörder von London“ ist dann sogar ein kleiner Knaller:
Mit Klaus Kinski und Herbert Fux prominent besetzt, garniert mit einigen
Ekeleffekten, in den Nachtszenen durchaus stimmungsvoll, und bisweilen
sogar ein wenig sensibel, ist Francos tragischer Thriller irgendwo zwischen
herbem Trash, Kinskis enormer Präsenz, psychologischem Drama und
plakativem Krimi angesiedelt: kein ambitioniertes Jess Franco-Kunstwerk,
aber unter seinen konventionellen Genrefilmen einer der besten.
„Die Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne“ ist mit einigem
Abstand ein weiteres kleines Highlight unter Francos Dietrich-Streifen:
diese Neubearbeitung des Nunsploitation-Sektors reicht ausstattungs- und
besetzungsmäßig keinesfalls an „Les dèmons“
oder die Historienfilme der Towers-Phase heran, schmückt aber seine
platte Geschichte der jungen Unschuld, die von bösen Menschen, die
Gutes heucheln, schlimm missbraucht wird, mit einigen denkwürdigen
Einfällen aus. So erscheint bei einer Vergewaltigung im blasphemischen
Nonnenkloster Herbert Fux als der Leibhaftige, ältere Nonnen streicheln
ihre Brüste mit den Holzkreuzen, ein Beichtvater onaniert im Beichtstuhl
– und in einem subliminalbildartigen Einschub, der den meisten Zensoren
vermutlich entgangen sein dürfte, stellt Franco sogar einen Samenerguss
in das Gesicht der 16jährigen Nonne nach. Ein recht geschmackloser
Unterleibswitz von Film, routiniert umgesetzt und so ausufernd in seiner
wild um sich tretenden Kirchenkritik, dass auch hier einige Unklarheiten
der Aussage kaum ins Gewicht fallen.
Weniger beeindruckend fällt da eine andere Neuauflage eines bereits
behandelten Themas aus: „Die Marquise von Sade“, vage auf
Oscar Wilde zurückgehend (was den Alternativtitel „Das Bildnis
der Doriana Gray“ erklärt), greift im Prinzip auf die Anstaltsepisode
aus „Les Possédées du diable“ zurück. Hier
nimmt diese weibliche Renfield-Geschichte eine besonders absurde Wendung:
Doriana Gray saugt als Sexvampirin das Leben aus ihren Sexualpartnern,
die vor Lust sterben – doch während sie dabei vollkommen unbefriedigt
bleibt, bekommt ihre eingeschlossene, wahnsinnige Schwester einen Orgasmus
nach dem anderen.
Neben dem furchtbar trägen „Der Ruf der blonden Göttin“
(1977) – eine Variation von Elementen aus „Necronomicon –
Geträumte Sünde“ & „Les Cauchemars naissent
la nuit“ in Form eines exotischen Voodoo-Erotikthrillers um Ausnutzung,
Beeinflussung und Lenkung, die allerdings mit einer platinblonden Karine
Gambier in hübsch exotischen Kulissen ein paar schwelgerische Schauwerte
bietet –, der ulkigen Bordell-Klamotte „Mädchen im Nachtverkehr“
(1976) und dem Gangster-Sexklamauk „Downtown – Die nackten
Puppen der Unterwelt“ (1975) sind es in dieser schweizer Phase aber
eben die Frauengefängnisfilme, über die Franco sich in dieser
Zeit definiert. Dass Franco im Rahmen seines Interesses für den Sadomasochismus
neben gerissenen Detektivinnen, starken femme fatales und verführerischen
Rächerinnen auch mehr und mehr die leidende Frau als Opfer sexuellen
Missbrauchs in den Mittelpunkt rückte, brachte gerade in Verbindung
mit diesen ziemlich gehaltlosen Gefängnisstreifen und deren Nummernrevue
aus Sex- & Folterszenen den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit mit sich.
Doch lassen sich diese Streifen vom aufgeschlossenen Publikum auch anders
betrachten: sofern nur bi- oder pansexuell genug, können Männer
wie Frauen mit sadomasochistischen Phantasien jeder Art diese endlosen
Missbrauchsphantasien (von Insassinnen durch eine Leiterin, ihren männlichen
Partner und in der Regel männliche Wächter) durchaus genießend
rezipieren – auch als masochistischer Mann kann man sich mit der
gepeinigten Lina Romay (oder einem anderen weiblichen Opfer) identifizieren.
Es bleibt jedoch der Kritikpunkt, dass Franco (eigenen Vorlieben oder
denen des Publikums folgend) nahezu ausschließlich weibliche Opfer
und ausschließlich weibliche Homoerotik in Szene setzt: das Bild
wirkt sexistisch, auch wenn es sich durchaus anders genießen lässt...
Dabei hat Francos Konzentration auf weibliche Opfer einen gar nicht uninteressanten
Ursprung: seit seinen de Sade-Variationen ging es Franco immer auch ein
wenig um unschuldige Frauen als Opfer männlicher Gewalt; dass sich
unter den Tätern dann in der Regel immer auch mal weibliche Sadistinen
befanden (meistens eine einzelne unter mehreren Männern), war dann
der Versuch eines gleichberechtigten Bildes, der in letzter Konsequenz
daran scheiterte, dass Franco auf männliche Opferrollen verzichtete.
Es lässt sich wohl nicht vermeiden, dass – wenn sexuelle Begierde
immer auch etwas damit zu tun hat, andere Subjekte als Objekte zu betrachten
– der heterosexuelle Blick automatisch sexistisch anmuten muss.
Wie auch immer man diese sexuellen Phantasien bewerten will, so muss man
ihnen doch in der Regel eine spielerische Unernsthaftigkeit attestieren,
die dem Ganzen dann die bloße Funktion einer Rollenspielphantasie
zukommen lässt. Gerade „Das Frauengefängnis“ –
formal und inhaltlich ein ziemlich minderwertiger Schnellschuss –
bietet sich mit seinen leicht durchschaubaren Gewalt-Effekten und dem
wenig realistischen Spiel der Figuren geradezu an, um sich mit all seinen
Gewaltexzessen als sadomasochistische Rollenspielphantasie lesen zu lassen
(in der Franco höchstselbst als Vater über seine Filmtochter
Lina Romay herfällt): in einem kurzen Rollentausch zwischen Lageraufseherin
und Insassin wird Franco besonders deutlich. Andere Vertreter machen es
einem da bisweilen auch mal etwas schwerer... (Etwa „Frauen für
Zellenblock 9“, in dem Howard Vernon in einer so zotigen, wie geschmacklosen
Szene eine Ratte mittels Plexiglasröhre in die Vagina einer Insassin
einführt.)
Immerhin: einen Film gibt es dann doch in dieser Phase, der als Frauengefängnisfilm-Variation
männliche Opfer bietet und ganz nebenbei auch den männlichen
Blick im Sex- & Erotikkino anspricht. „Das Frauenhaus“,
ein Film in recht sterilen, uninteressanten Räumen, die durch knallige
Farben und ein paar schräge Accessoires aufgepeppt werden, erzählt
vom Sexclub Blue Rita, in dem die männlichen Opfer der Clubchefin
eingesperrt und – ohne Möglichkeit zur ausreichenden Befriedigung
– den heißen Sexshows der Mitarbeiterinnen und einem giftgrünen
Aphrodisiakum ausgesetzt werden, bis sie bereit sind, umfangreiche Cheques
auszustellen. Manchmal – so Francos Aussage – sitzt das Hirn
Männer halt in ihrem Genitalbereich: davon profitiert dann auch der
Sexfilm. Davon abgesehen ist diese bunte Popversion von D'Amatos „Emanuelle
e Françoise le sorelline“ (1975) ein ziemlicher Nonsens.
Artcore!
Auf die schweizer Dietrich-Phase folgt eine Intensivierung
seiner Zusammenarbeit mit dem Produzenten Daniel Lesoeur (Sohn von Marius
Lesoeur, der ab 1962 beinahe drei Jahrzehnte lang immer wieder als Produzent
des einen oder anderen Franco-Films in Erscheinung trat), eine kleine
Reihe von Arbeiten für die österreichisch-deutsche Lisa Film
GmbH und eine zunehmende Verlagerung seines Schaffens in sein Heimatland
Spanien, das nach Francisco Francos Tod und mit der Entstehung einer Movida
Madrileña für Franco wieder attraktiv geworden war. Es beginnt
ein Abschnitt, in dem sich Sex und Gewalt in gesteigerter Form als Porno
und Splatter finden lassen, in dem Franco aber zugleich wieder zur Umsetzung
seiner künstlerischen Ambitionen zurückkehrt. Diese Ambition
ist (spätestens) wieder ab 1980 mit „Sinfonía erótica“
wahrzunehmen und durchzieht einen Teil seiner folgenden spanischen Werke:
etwa „Aberraciones sexuales de una mujer casada“ (1981), „Las
Orgías inconfesables de Emmanuelle“ (1982), „Gemidos
de placer“ oder „Macumba sexual“.
Zuvor bietet Franco krude Kost: „Les Gardiennes du penitencier“
(1979) ist ein in jeder Hinsicht misslungener Frauengefängnisfilm,
für den Franco jedoch wenig kann, handelt es sich doch zu großen
Teilen um einen Zusammenschnitt aus anderen Filmen, darunter Francos „Frauengefängnis“.
Auch „Convoi de filles“ (1978) und „Justine“ (1979)
stellen solche Zusammenschnitte dar: in letzterem kombiniert Joe D'Amato
veröffentlichtes & unveröffentlichtes Material von Franco
zu einem neuen Film. Völlig selbstständig ist dagegen Francos
Arbeit an „La Chute de la maison Usher“, in dem er Poes Erzählung
mit seiner eigenen Orloff-Figur vermischt und ausgiebig Szenes aus „Gritos
en la noche“ einbindet. Trotz dieser Existenz als Flickwerk weist
der Film vereinzelt ein paar lyrische Szenen auf, bleibt aber größtenteils
unbefriedigend. Unter den eigenständigen Filmen ist „Cocktail
spécial“ ein reichlich schluderig in Szene gesetzter Pornofilm
mit Inzest- und Urophagieszenen – Handlung und Form sind gleichermaßen
schwach und allenfalls die unverklemmte Kokketterie mit einigen Tabus
bietet noch einige Vorzüge. „Mondo cannibale“ & „Jungfrau
unter Kannibalen“ (1980) stellen Francos schlampigen Beiträge
zur (von Lenzi und Deodato losgetretenen) Kannibalenfilmwelle dar, „Die
Säge des Todes“ (1981) ist eine hierzulande wegen ihrer Beschlagnahmung
berüchtigte Slashervariation (die man sich auch als Bravo-Fotoroman
genehmigen konnte). Etwas stilvoller geben sich da „Die nackten
Superhexen vom Rio Amore“ (1981) & „Sadomania –
Hölle der Lust“ (1981): der erste Titel vereint etwas willkürlich
den Bordellbetrieb einer sadistischen Menschenhändlerin, deren Gatte
eines ihrer Opfer liebt, mit der eher zarten Liebesgeschichte eines Teenies;
der zweite ist ein recht sorgfältig umgesetzter Frauengefängnisfilm
mit einigen over the top-Klischees (die Insassinnen arbeiten in Hotpants
und oben ohne im Steinbruch), einer skandalträchtigen Vergewaltigungsszene
der Heldin durch einen Schäferhund (in Parallelmontage vermischt
mit einem konventionellen Sexualakt und mechanischen Puppenspielen, an
denen ein Walter Benjamin seine helle Freude gehabt hätte) und einem
Speerkampf am Strand vor der untergehenden Sonne. Der Soundtrack, eine
sehr sorgfältige Kameraführung, originelle Bildkompisitionen
und eine beachtliche Leistung von Ajita Wilson in der weiblichen Schurkenrolle
machen aus dem Film Francos wohl beste Arbeit für Lisa Film.
„Sinfonía erótica“ ist dagegen eine poesievolle
de Sade-Variation zur Musik Franz Liszts: wie zuvor in „Plaisir
à trois“ und wenig später in „Gemidos de placer“
baut er die de Bressac-Episode seines „Marquis de Sade: Justine“
zur eigenständigen Handlung aus, um ein verführerisches, sadistisches
Intrigenspiel zu kreieren, in dem Franco sogar eine homosexuelle Fellationszene
(die allerdings zwar erotisch, aber eben auch beunruhigend wirkt) und
einige homosexuelle Streicheleinheiten unterbringt. Die Geschichte eines
bisexuellen Teenagers und einer bisexuellen Nonne zwischen einem bisexuellen
Ehepaar, in welchem es derartig kriselt, dass der Gatte seine Gattin zu
ermorden trachtet, endet schließlich für nahezu jeden tödlich
und auch der Mörder wird letztlich selbst ermordet; in schöner
Ausstattung angesiedelt, gibt die Geschichte Franco reichlich Möglichkeiten,
hübsche Garten- & Landschaftsaufnahmen und dekorativ eingerichtete
Inneneinrichtungen bei Kerzenschein einzufangen. Und eine kleine Anspielung
auf Mario Bava ist in der Erdolchung eines Liebespaares beim Liebesakt
auch noch drin. „Gemidos de placer“ wandelt die Geschichte
nochmals ab und reduziert sie weitestgehend auf die Erotikszenen, die
in langen Einstellungen mit Schwenks und Zooms eingefangen werden. Etwas
unsaubere, aber in ihrer Konzeption herausragende Kamerafahrten fangen
zudem die wundervolle Architektur des Films ein und etablieren zudem bisweilen
sehr beeindruckend die jeweiligen Charaktere. Alles im allem überwiegen
jedoch elegische, verträumte Sexszenen in einer melancholisch anmutenden
Rahmung: Francos letzte Schaffensperiode wird damit schon vorweggenommen.
„Las Orgías inconfesables de Emmanuelle“ ist dann wohl
ein kleiner Höhepunkt unter Francos frühen 80er Jahre Werken:
etwas humoristisch & zugleich ungewöhnlich sensibel spinnt er
ein erotisches Beziehungsdrama über eine freizügige, lustvolle
Frau und einen auf Würde und Anstand pochenden Mann zusammen, das
auch durch die Vielzahl der erlesen ausgewählten Drehorte sehr ambitioniert
wirkt. Selten waren Francos Filme in den letzten Jahren erotischer, zudem
bietet der Film eine Reihe beeindruckender Episoden... etwa einen Besuch
der Filmstar-Abteilung eines Wachsfigurenkabinetts, eine doppelte Sexszene
am Ende, bei der die ungewöhnliche und hochwertige Innenarchitektur
beinahe schon auf eine an Antonioni gemahnende Weise genutzt wird, und
eine Vergewaltigung, die Franco ungewohnt ambivalent – nicht unproblematisch,
aber glaubwürdig und verständnisvoll – umzusetzen versteht:
auf die anfängliche Gegenwehr folgt ein kurzer Moment des Gefallens
an dieser erfüllten Vergewaltigungsphantasie, auf welche hinterher
aber wieder ein Gefühl der Leere, Scham und Unsicherheit folgt; wer
Vergewaltigungsphantasien hat, verarbeitet eine Vergewaltigung in der
Regel besonders schlecht. Im Prinzip lässt sich diese Szene als nachträgliche
Rechtfertigung für die vielen Frauengefängnisfilme lesen: manche
Phantasien wollen, sollen & müssen immer Phantasie bleiben. Vor
allem aber ist es ein Film über den Selbstbetrug eines etwas heuchlerischen
Mannes, der Frauen für Taten verurteilt, die er im Grunde selbst
genießt, der bei sich ein Auge zudrückt, wo er bei anderen
den Zeigefinger hebt. Der im Vorjahr entstandene „Aberraciones sexuales
de una mujer casada“ erzählt eine ähnliche Geschichte
unter anderen, eher biederen Vorzeichen – ein ungewöhnlich
konservativer Franco mit reaktionärer Pointe; ein Mann, der die Promiskuität
seiner freizügigen, bisexuellen Partnerin nicht ertragen kann, stellt
sie – obwohl er sie über alles liebt – vor die Wahl:
entweder er oder ihre Gelüste. Dass sie am Ende ihn wählt, liegt
nicht zuletzt daran, dass ihr freizügiger Strip-Auftritt auf einer
Party eine Vergewaltigung nach sich gezogen hat, die sie zur Reflexion
ihres bisherigen Lebensstils gebracht hat. Die inhaltlich eher ärgerliche
sowas-kommt-von-sowas-Moral, die dann auch noch die konventionelle, feste,
heterosexuelle Zweierbeziehung über eine offene Sexualität stellt,
geht aber einher mit einer völlig soliden formalen Qualität.
„Macumba Sexual“ ist eine auf Bram Stoker und Lewis Carroll
anspielende Neuauflage von Francos Sexvampirfilmen wie „Vampyros
Lesbos“ oder „La comtesse noire“ – wenngleich
ohne Vampire: Ajita Wilson herrscht als exotische Schönheit Obongo
über ihre Sexsklaven und auch die schöne Alice (Lina Romay),
die ihr eigentlich bloß ein Haus in Atlantic City verkaufen wollte,
gerät – inmitten von allerlei Fetischzauber – mehr und
mehr in ihren Bann, wobei die Grenzen zwischen Realität und Traum
immer stärker verwischen. Schöne Menschen in schönen Gebäuden
in schönen Landschaften in schönen Farben: „Macumba Sexual“
ist ein ästhetizistischer Erotikstreifen, mehr phantastischer Film
als Grusel- oder Horrorfilm.
In den weiteren Jahren ist Franco nach wie vor sehr produktiv und weitet
zudem seine Arbeit in verschiedenen Genres immer weiter aus: neben den
Erotik- & Sexfilmen und den Gruselfilmen & Horrorthrillern („La
Chute de la maison Usher“, „La Mansión de los muertos
vivientes“, „La Tumba de los Muertos Vivientes“ (1983),
„Sola ante el terror“ (1986)) lassen sich auch Abenteuer-
& Actionfilme („El Tesoro de la diosa blanca“ (1983),
„Les Amazones du temple d'or“ (1985), der Bruce Lee –
Pardon! – Bruce Lyn Streifen „La sombra del judoka contra
el doctor Wong“ (1985), „Bangkok, cita con la muerte“
(1985), „Esclavas del crimen“ (1987), „Dark Mission:
Flowers of Evil“ (1988), „La Bahía esmeralda“
(1989)), Kriegsfilme („La chute des aigles“ (1989)), quasi-Sci-Fi
(„El Sexo está loco“ (1981) und der nie aufgeführte
„Sida, la peste del siglo XX“ (1986)) und Komödien („La
chica de los labios rojos“ (1986)) finden... Und immer wieder auch
zotige Pornofilme: neben „El chupete de Lulú“ (1985)
und „El ojete de Lulú (1986) – in denen unter anderem
Lina Romays Hintern von sexuellen Erlebnissen berichtet – wäre
da noch „Falo Crest“ (1987), das vielleicht größte
Kuriosum unter den Franco-Pornos. Als Parodie auf die US-Weinbauern-Seifenoper
„Falcon Crest“ (1981) angelegt, berichtet der Filme von einer
Weinbauernfamilie, die die gute Qualität ihrer Produkte über
Sperma- & Urinbeigaben erzielt: neben inzestuösen Gags und einer
(vermutlich gestellten) Koprophagieeinlage zählt noch ein Butler,
der sich von einem Pudel oral stimulieren lässt, zu den denkwürdigen
Ein- & Ausfällen dieses durchaus unverschämten Films. Obwohl
Franco in den 80er vielfach über künstlerische Freiheiten verfügte,
ist in diesem Jahrzehnt aber auch viel Ramsch entstanden: die Kluft zwischen
guten und schlechten Filmen fällt in diesem Jahrzehnt besonders groß
aus. „Les Amazones du temple d'or“ ist ein in jeder Hinsicht
furchtbarer Abenteuerfilm, gefüllt mit grauenhaften Gags und wenig
beeindruckenden Kulissen, „La Mansión de los muertos vivientes“
ist ein spannungsarmer Erotikgrusler, der auch formal wenig zu bieten
hat und „Historia sexual de O“ ein zäher Erotikfilm,
dessen billigen Effekte am Ende schon die Ästhetik der späten
90er & frühen 2000er Jahre heraufbeschwören.
Ende der 80er Jahre erfolgt nochmal eine unerwartete Wendung: Franco arbeitet
nun in spanisch-französischen Produktionen wieder mit Stars (wenngleich
diese sich nicht gerade auf ihren Karriere-Höhepunkten befunden haben).
Christopher Lee („Dark Mission: Flowers of Evil“, „La
chute des aigles“) und Fernando Rey („La Bahía esmeralda“)
arbeiten erstmals seit mehreren Jahren wieder mit Franco zusammen –
und besonders „Faceless“ ist 1988 hervorragend besetzt: In
diesem splatterlastigen Thriller über einen Arzt, der mit der Hilfe
eines einstigen Naziwissenschaftlers Gesichtstransplantationen an entführten
Frauen durchführt, um seiner Geliebten das verunstaltete Gesicht
zu ersetzen, spielen neben Helmut Berger, Telly Savalas und Stéphane
Audran noch Brigitte Lahaie, Caroline Munro, Anton Diffring und ein letztes
Mal für Franco, und zwar als Dr. Orloff: Howard Vernon. Weitestgehend
hervorragende Trickeffekte, eine aufwändige Ausstattung und die hohe
Anzahl an Stars machen aus „Faceless“ eine ungewöhnliche
Ausnahme in Francos Spätwerk – wobei die persönliche Handschrift
dementsprechend zu fehlen scheint und sich überwiegend in inhaltlichen
Aspekten offenbart.
Der Orson Welles des Schmuddelfilms & der kleine
Westentaschendeleuze
1992 setzt Franco dann mit „Don Quijote de Orson Welles“
ein unabgeschlossenes Welles-Projekt zu einem fertigen Film zusammen.
Welles einstige Lebensgefährtin und Nachlassverwalterin Oja Kodar
war mit dem Ergebnis nicht gerade zufrieden und auch jene Kritiker und
Filmwissenschaftler, die in den Genuss kamen, von Welles angefertigte
Rohschnittfassungen anzusehen, hatten für Francos Version wenig übrig.
Dass sich Franco, der 1965 immerhin als second unit director für
Welles arbeitete, hier überhoben hat, scheint offensichtlich: eine
recht mittelmäßige Synchro, die Franco nach eigenem Drehbuch
über stummgedrehtes Material legte, ist so unbefriedigend wie die
schwachen Bearbeitungen des Bildmaterials und die Dramaturgie, die weder
als Spielfilm, noch als Essayfilm, noch als Dokumentarfilm funktionieren
mag. Man mag Franco immerhin zugutehalten, dass er sich an kein leichtes
Unterfangen herangewagt hat: Welles Don Quijote-Projekt zog sich von 1955
bis in die Mitte der 80er Jahre hinein, immer wieder aus anderen Perspektiven
erdacht und erweitert; um die Aktualität seiner Don Quijote-Version
zu wahren, ging es zunächst darum, Bezüge zum franquistischen
Spanien herzustellen, später aber auch darum, die Post-Franco-Ära
einzufangen. Zuerst war ein 30minütiger Essayfilm für das Fernsehen
geplant, später ein Spielfilm und letztlich wieder ein Essayfilm.
Welles selbst hatte, aufgrund schlechter Erfahrungen mit Schnittfassungen
seiner Filme durch allmächtige Produzenten, dafür gesorgt, dass
das existierende Material ungeordnet und unverständlich anmuten musste
und fünf Jahre nach seinem Tod sah sich Franco 1990 dem Problem ausgesetzt,
dass er nicht die Rechte an dem gesamten Material des Don Quijote-Projekts
besaß; dass Franco Material aus anderen Welles-Projekten und selbst
gedrehte Einstellungen hinzugezogen hat, wurde dann allerdings nicht unbedingt
als hilfreiche Lösung angesehen. Man muss sich wohl von dem Gedanken
lösen, dass „Don Quijote de Orson Welles“ eine Rekonstruktion
eines von Welles anvisierten Ideals darstellt, das er selbst nicht mehr
umsetzen konnte: „Don Quijote de Orson Welles“ ist eher ein
„Don Quijote de Orson Welles de Jess Franco“, der kaum Welles
und kaum Franco bietet; ein unglücklicher Zwitter, nach dessen Betrachtung
man allenfalls ahnen kann, was Welles im Sinn hatte – und nach der
man nicht mal ahnen kann, was Franco eigentlich wollte. Interessant ist
das Werk am ehesten als irritierend geordnete Materialsammlung für
Welles-Fans.
Franco ist kein zweiter Welles und gerade sein „Don Quijote de Orson
Welles“ bestätigt diesen Verdacht. Aber immerhin gelangt er
in seinem Werk zu der von Welles so erbittert angestrebten, völligen
künstlerischen Freiheit, die gerade im Spätwerk größer
und größer wird, zugleich aber immer geringere Budgets und
Mittel zur Verfügung hat. Die Filme entwickeln sich immer stärker
in weitestgehend handlungsarme, fast schon handlungslose Sex-&-Sadomaso-Phantasmagorien,
in denen Franco seine Visionen in Low- & No-Budgetstreifen umsetzt.
Mitte der 1990er kommen noch halbwegs konventionell anmutende Genrefilme
in einer direct to video-Ästhetik heraus – durchsetzt mit einigen
typischen Francozismen –, ab 1998/1999 sind es dann vermehrt jene
audiovisuellen Erfahrungen, deren Gipfelpunkt dann „Paula-Paula“
werden sollte. „Ciudad Baja (Downtown Heat)“ (1994) ist ein
Früh-90er-Jahre-Billig-Actioner, dem es leider ein wenig an Dynamik
fehlt, ohne dass Franco das durch eine poesievolle Gestaltung auszugleichen
versucht; sehenswert ist allerdings der ungewöhnliche Auftritt von
Lina Romay, die in dieser Form auch in einen „Mad Max“- oder
„Escape from New York“-Streifen gepasst hätte. „Killer
Barbys“ ist dann zwei Jahre darauf der Brückenschlag zwischen
Francos 1962er Dr. Orloff-Mythos und dem Vampirfilm; wer nicht schon vorher
gemerkt hat, dass beide Motive im Grunde bloß eines waren, bekommt
es nun von Franco – deutlicher noch als in „La Chute de la
maison Usher“ – unter die Nase gerieben: hier wie dort verleiben
sich die einen Körper andere Körper ein, statt der Haut das
Blut... und nicht mehr für die Schönheit allein, sondern für
das Leben selbst. Der Film variiert „Countess Dracula“ (1971),
Peter Sasdys Bathory-Aufarbeitung für die Hammer Studios, als quasi-Orloff-Vehikel
– mit Unterstützung vom Fandom: Die Killer Barbies spielen
in der Hauptrolle (sich selbst und) die Opfer des Barons von Fledermaus,
der dringend Blut für seine uralte Gattin benötigt. Mit den
Hauptdarstellern und ihrer Musik, den derben aber einfachen Splattereffekten
und einer Portion Klamauk zielt der Film einerseits enorm in die Trash-Richtung
– im Kontrast dazu jedoch steht eine melancholische Nostalgie, die
sich in den klassischen Elementen des Bathory/Orloff/Vampir-Themas offenbart,
welche sich teilweise an Jean Rollins ganz eigener Poesie orientieren
(wenn hellrotes Blut im hellblauen Licht der Bilder fließt, wenn
Zwergwüchsige als Begleiter der Vampire auftreten). Dieses Schwanken
zwischen Melancholie, Nostalgie einerseits und Trash, Camp andererseits
ist durchaus als Grabgesang des klassischen Horrorfilms zu verstehen:
sowohl Rollins späten Vampirfilme (z.B. „La fiancée
de Dracula“ (2002)) oder Mojica Marins späte Wiederblebung
seines Zé do Caixao („Encarnação do Demônio“
(2008)) wirkten 30 bis 40 Jahre nach ihrer populären Phase seltsam
anachronistisch. Konsequent wird Franco dann seinen späteren „Killer
Barbies vs. Dracula“ mit dem Song „Der Graf“ von den
Ärzten einleiten.
Nach einer neuen Variation von „The Most Dangerous Game“,
nämlich dem unter line producer Christian Kessler entstandenen „Tender
Flesh“ (1997), und nach dem Michelle Bauer & Linnea Quigley
Trashfilm „Mari-Cookie and the Killer Tarantula“ (1998) legt
Franco mit „Lust for Frankenstein“ und „Vampire Blues“
zwei Sex-Variationen des klassischen Horrors vor, mit denen er endgültig
seinen digital video-Look der nächsten zehn Jahre etabliert. Beide
Filme sind Reigen aus Nahaufnahmen, Zooms, Bäumen und Blättern,
Wasser und Himmel, reflektierenden Oberflächen, nackter Haut, Vampirzähnen
bzw. Kunstmensch-Nähten und Musik – und Franco nutzt ausgiebig
die Möglichkeiten digitaler Effekte, wenn auch eher primitiv und
schäbig anmutend. Es wirken diese Filme – etwas weniger das
gendertheoretisch noch irgendwo interessante Bi-Sex-Frankenstein-Erotikdrama,
um so stärker aber die „Vampyros Lesbos“-Neuauflage „Vampire
Blues“ – wie ein abschließender Kommentar, eine Bilanz
am allmählichen Ende einer langen Karriere: In „Vampire Blues“
wird die an Bataille gemahnende Verschränkung von Eros und Thanatos
in Francos Filmen ebenso überdeutlich & verbal zur Sprache gebracht,
wie auch das beständige Wieder-und-wieder-Behandeln von Themen und
Geschichten.
Der Film spricht als Beginn vom Ende vom Lied eine deutliche Sprache (wenngleich
das auch so ziemlich das einzig positive ist, was man von diesem Film
sagen kann): Die ersten und letzten Seufzer der Vampirschönheit (wenngleich
weniger schön als Francos Vampirschönheiten zwanzig, dreißig
Jahre zuvor) scheinen sich auch auf das Werk des Maestros selbst zu beziehen:
„Love means obsession, obsession means blood, blood means death...
[…] Death is the logical result of blood, of love...“ Was
man bei der Lektüre von de Sade und Sacher-Masoch stets geahnt hat,
was Spielrein, Freud, Marcuse oder Bataille direkt thematisiert haben:
bei Franco war es stets zu finden und bekommt hier seine verbale Ausformulierung
– zudem in einem Film, in dem nun wahrlich nicht viel geredet wird.
(Und das bei Franco so häufig zentrale Blut wird auch gleich noch
in seiner Bindeglied-Funktion erläutert.)
„The Song is almost over now,“ singt ein Sänger im Off,
fängt dann aber doch immer wieder nochmals neu mit seinem Song an
– das erscheint geradezu selbstironisch und charakterisiert im Grunde
Francos filmisches Schaffen von (spätestens) den 1970ern (wenn nicht
gar seit 1962) bis hin zu den 2010ern. Geschichten nochmals neu verfilmen,
Themen in back to back-Produktionen variieren, Filme in zwei, drei Alternativfassungen
vorzulegen, Filmmaterial in späteren Filmen erneut zu benutzen, Figuren,
Schauspieler und Rollennamen repetitiv zu wiederholen: Francos Filme sind
von so vielen Verknüpfungen durchzogen, dass sie als dichtes Gewebe
eine einzige Einheit bilden. In einem von Andreas Bethmann angeregten
Gespräch für dessen X-Rated-Lable spricht Franco im Hinblick
auf „Vampire Blues“ davon, ein- & dasselbe nicht immer
aus einer einzigen Sicht betrachten zu wollen – und greift zu einem
hübschen Bild: es sei wie mit einem Diamanten, man brauche ihn nur
ein wenig drehen, und schon ergeben sich ganz andere Eindrücke. Das
ist deshalb ein sehr hübsches Bild, weil Franco – bewusst oder
unbewusst (wohl eher unbewusst) – ein Bild aus der Filmtheorie heranzieht,
das Deleuze in seinen wundervollen Kinobänden etabliert hat: das
Kristallbild. Das Kristallbild ist bei Deleuze eine der Stufen, über
die der Film aus dem klassischen sensomotorischen Schema auszubrechen
vermag: es geht darum, Verhältnisse von Aktualität und Virtualität
in Szene zu setzen, in denen letztere zu ihrem vollen Recht kommt –
sie ist nicht mehr ein erklärbarer Ausbruch aus einer Handlung (wie
z.B. die Rückblende), sondern steht im Extremfall im Zeichen der
Ununterscheidbarkeit, wie etwa die Bilder des Spiegelkabinett-Finales
in Orson Welles „The Lady from Shanghai“ (1947). Im Zusammenhang
mit dem Kristallbild sind es gerade Motive des Spiegelbildes, die Deleuze
als Beispiele heranzieht; im Endeffekt kommt Deleuze jedoch über
das Kristallbild zur kristallinen Betrachtung, also dem Spiel der Virtualitäten
eines Robbe-Grillet (mit dem Franco ja einiges gemeinsam hat, wie eingangs
erwähnt). Dieses Spiel der Virtualitäten spielt auch Franco
immer wieder, wenn in „Necronomicon – Geträumte Sünden“
oder in „Paroxismus“ die Grenzen von Realität und Imagination,
von wahr und falsch verwischen. Die kristalline Betrachtung durchzieht
Francos Filme bis zu „Paula-Paula“, Spiegelbilder als Kristallbilder
par excellance finden sich überdeutlich als zentrale Motive in „Le
miroir obscene“ und „Paula-Paula“. Und in Francos Tendenz,
seine Filme als Variationen und Variationen von Variationen anzulegen,
beinahe 200 Filme lang Bezüge herzustellen und Grenzen zu verwischen,
bildet sein ?uvre letztlich eine Einheit, die – wie Franco es formuliert
– durch einen immer wieder neu gedrehten Diamanten betrachtet wird.
Und diese verwischten, zerfließenden Grenzen, dieses Verlangen,
die Mannigfaltigkeit zur Einheit zu verschmelzen, lassen sich ihrerseits
auch wieder auf das Motiv des Wassers mit seinen fluiden Strukturen beziehen,
das – wie dargelegt – zu Francos bedeutungsschwangeren Leitmotiven
zählt... ein Motiv, welches ebenfalls von großer Bedeutung
in Deleuzes Filmtheorie ist: als Motiv einer flüssigen Wahrnehmung
nämlich, die durch ein Verschwinden von Fixpunkten charakterisiert
ist. Das Wasser, das bei Franco so oft auf Tod & Eros anspielt, scheint
vor dem Hintergrund des freien Spiels mit immer wieder neu variierten
Leitmotiven noch bedeutungsreicher zu sein...
Elf Jahre und zwölf Filme (von denen „Vampire Junction“
(2001) noch am erträglichsten ist) später ist dann „Paula-Paula“
der Gipfelpunkt von Francos Variationen: Hier verschmilzt und verschwimmt
im Rausch von Liebe und Tod alles miteinander, hier spiegelt sich alles
so, wie der Film selbst andere Francos spiegelt – etwa „Necronomicon
– Geträumte Sünden“, dessen (wenn man so will) Schlüsselmonolog
Franco hier übernimmt. Im Titel spiegeln sich schon die Hauptfiguren,
von denen man immer weniger erfährt, ob sie nun eine oder zwei sind...
Uneindeutigkeit dominiert hier in Kaleidoskopbildern und reflektierenden,
knitterigen Aluminiumfolienhintergründen – und über allem
liegt ein delirierender Gulda-Score... Friedrich Gulda ist dieser Film
auch gewidmet, der zugleich Francos letzte Zusammenarbeit mit Lina Romay
darstellt, die ein knappes Jahr vor Franco verschieden ist.
Es folgten noch drei Filme: „La cripta de las condenadas“
(2012) & „La cripta de las condenadas II“ (2012) –
beides Zusammenschnitte aus seinem bald dreistündigen „La Cripta
de las mujeres malditas“ (2008) mit neuem Material –, sowie
„Al Pereira vs. the Alligator Ladies“ (2012), in dem Franco
ein weiteres Mal nach „Paula-Paula“ mit HD-Technik arbeitet
und ein letztes Mal zur Al-Pereira-Figur zurückkehrt, die er mit
„La muerte silba un blues“ und „Cartes sur table“
aufgegriffen und fortan immer wieder mal eingesetzt hat – ab den
80ern immer wieder mit Antonio Mayans in dieser Rolle, die er hier ein
letztes Mal für Franco spielt.
Ein Trostpflaster am Ende
Franco ist tot: Aber bei seinem ungeheuerlichen Output sind
viele seiner rund 200 Filme noch zu entdecken – und womöglich
tauchen ja auch die verschollenen Franco-Filme „Sex Charade“
(1969) & „Sida, la peste del siglo XX“ (1986) wieder auf...
eventuell wird irgendwer auch seinen unvollendeten „The Gold Bug“
(1993) zugänglich machen. Franco, der in den 60er Jahren noch das
Lob von Orson Welles & Fritz Lang und das Interesse von Luis Bunuel
auf sich zog, um Ende der 70er Jahre viele Bewunderer wieder zu verlieren,
hat an seinem Lebensende mit der Verleihung des Ehrengoyas und einer Retrospektive
der cinémathèque française schließlich doch
noch große Anerkennung gefunden, die sich seit wenigen Jahren auch
in Form einer Welle liebevoller DVD-Editionen ausdrückt.
Dass man wohl sein ganzes Leben benötigt, um wirklich jeden Franco
zu sichten, tröstet doch ein bisschen über seinen Verlust hinweg:
so bleibt er quasi lebendig und man lernt (womöglich bis zum eigenen
Lebensende) immer wieder neue Seiten von ihm kennen. Zudem wird man ja
auch bei jedem zweiten Franco daran erinnert, dass ihm der Tod eh bloß
als phantastischer Begleiter von inniger Liebe und sexueller Ekstase erschienen
ist... Francos Horror- und Sexfilm-Religion außerhalb der Kirche:
auch das ein Trost.
1.) Tatjana Pavloviv: Despotic Bodies and Transgressive Bodies. Spanish
Culture from Francisco Franco to Jesús Franco. University of New
York 2003; S. 2.
2.) Wobei diese Einstufung mit Vorsicht zu genießen ist; je nachdem,
wo man die Grenzen für das Genre ansetzt, mag man auch Edgar Nevilles
„La Torre de los siete jorobados“ (1944) als ersten spanischen
Horrorfilm ansehen. Indes: erst Francos Beitrag hat den Horrorfilm wirklich
als Genre in der spanischen Filmindustrie verankert.
3.) Carlos Aguilar: Der schreckliche Dr. Orloff. In: Ursula Vossen (Hg.):
Filmgenres – Horrorfilm. Reclam 2004. S. 165.
4.) Natürlich: hier – und auch schon in „Gritos en la
noche“ – ist man mit zwei Versionen aufgetreten: in Spanien
und einigen anderen Ländern lief die weniger offensiv erotische,
die weniger grausame Version, in anderen Ländern die erotischere,
grausamere Fassung.
5.) Lexikon des internationalen Films. Rowohlt 1987; S. 1969.
6.) Filmdienst. Zitiert nach: Ronald M. Hahn, Volker Jansen: Lexikon des
Science Fiction Films. Heyne 1997; S. 504.
7.) Orson Welles soll von diesen Kriminalfilmen so angetan gewesen sein,
dass er Franco für seinen „Campanadas a medianoche“ (1966)
als Regieassistenten heranzog. Vgl. den Artikel von Stephan Oberparleiter
im Booklet zur Subkultur-DVD von Francos „Miss Muerte“.
8.) Eine eindrucksvolle Darstellung von Francos Schwierigkeiten mit der
Zensur befindet sich in Danny Shipkas „Perverse Titillation. The
Exploitation Cinema of Italy, Spain and France, 1960-1980“ (McFarland
2011; 179-212).
9.) Angestoßen wurden diese Überlegungen vermutlich von Jonathan
Rosenbaum, der „Dracula as an implicit stand-in for the generalissimo“
( http://www.jonathanrosenbaum.com/?p=5812 ) bezeichnete.
10.) Tatjana Pavloviv: Despotic Bodies and Transgressive Bodies. S. 3.
11.) Ärgerlich nicht bloß wegen manch schlampigen Effekten,
mit denen Franco das Material von Welles bearbeitet (für den er seinerzeit
bei „Campanadas a medianoche“ (1965) als second unit director
arbeitete), sondern vor allem auch deshalb, weil Oja Kodar, die den Nachlass
von Welles verwaltet, nach dieser enttäuschenden Leistung übervorsichtig
auftritt, wenn es darum geht, Welles unvollendetes Werk aufzubereiten
und zugänglich zu machen.
12.) „The Blood of Fu Manchu“, „Der heiße Tod“,
„The Torture Chamber of Fu Manchu“, „Die sieben Männer
der Sumuru“, „Eugenie“, „Marquis de Sade: Justine“
(1969), „Il Trono di fuoco“ (1969), „Paroxismus“
und „El Conde Dracula“.
13.) Bloß eine Auswahl wahrlich aussagekräftiger Titel: „Frauengefängnis“,
„Die Slavinnen“ (1976), „Frauen im Liebeslager“
(1976), „Die teuflischen Schwestern“ (1976), „Jack the
Ripper – Der Dirnenmörder von London“ (1976), „Greta
– Haus ohne Männer“ (1977), „Die Liebesbriefe einer
portugiesischen Nonne“, „Frauen fü Zellenblock 9“
(1977), „Frauen ohne Unschuld“ (1977), „Das Frauenhaus“
(1977).
14.) Auch der Vampirismus ist ein Motiv, das nach bloßen Anspielungen
in „Vampiresas 1930“ ab „El Conde Dracula“ zum
Standard-Thema Francos zählen sollte. Vampirismus und psychic link
werden bei Franco nahezu gleichbedeutend verwendet: die Vampire besitzen
hypnotische Kräfte, psychic links stellen immer auch eine Art Geistesvampirismus
dar; etliche seiner Filme verwischen die Grenzen zwischen beiden Motiven
mit einiger Vehemenz.
15.) Thomas Groh formulierte das so: „Jess Franco, freier Jess:
Free Jazz.“ (http://www.taz.de/Zum-Tod-Jess-Francos/!113928/).
16.) Dass Francos Frauenfiguren trotz der großen Bandbreite von
der femininen, schüchternen Schönheit bis hin zur selbstbewussten,
starken Frau, vom schwachen Opfer bis zu herrischen Sadistin reichen,
kann nicht verschleiern, dass diese Figuren immer auch stereotype Männerphantasien
sind; und weil es nicht nur weit weniger männliche Figuren gibt,
die auf eine erotische Austrahlung angelegt sind (manchmal Vernons herrische
Sadisten, ein sinnlicher Kinski in „Paroxismus“, ein so femininer,
wie strenger Jack Taylor und natürlich Robert Woods), sondern weil
Franco ständig lesbischen Sex inszeniert, aber kaum jemals schwulen
Sex (Schwule gibt er eher mal als verweichlichte Kuriositäten der
Lächerlichkeit preis), bekommen Francos Sexphantasien trotz starker
Frauen, Auslotung der Grenzen gesellschaftlicher Toleranz und einer bevorzugt
lächerlichen Selbstdarstellung eigener Cameoauftritte auch wieder
einen unschönen Beigeschmack.
17.) Neben den Bryan Edgar Wallace-Verfilmungen, „Vampyros Lesbos“,
„Sie tötete in Ekstase“ und „La Venganza del Doctor
Mabuse“ gehören noch der für Franco eher unübliche
Abenteuerstreifen „Vuelo al infierno“ (1971), „Jungfrauen-Report“
(1972) und die furchtbar peinliche Robinsonade „Robinson und seine
wilden Sklavinnen“ (1971) in die Brauner-Phase. Herrschte bei Towers
vor allem ein etwas kitschiges Schwelgen in Landschaften, Kostümen
und sorgsam ausgesuchten Kulissen, die als Schauwerte und Sensationen
(neben Stars wie Christopher Lee, Klaus Kinski, Herbert Lom, Akim Tamiroff,
Maria Schell, Herbert Fux und Marie („Inga“) Liljedahl) in
diesen mitunter recht exotischen Ausstattungsfilmen dienen konnten, so
wirken die Filme der Brauner-Phase in ihren Schauwerten kleiner, etwas
weniger eindrucksvoll – wenngleich „Vampyros Lesbos“
und „Sie tötete in Ekstase“ mit ihren reichhaltigen Beispielen
der frühen 70er Jahre Mode ganz eigene Reize bergen –, dafür
aber auch etwas lebhafter: In den Brauner-Streifen beschränken sich
die Stars auf Francos ständige Begleiter (also Howard Vernon, Soledad
Miranda, Paul Muller und mit Einschränkungen noch Jack Taylor) und
kleinere Namen (etwa einen jungen Horst Tappert, einen gealterten Dennis
Price); und anstelle einer schwelgerischen Ausstattungsfilm-Ästhetik
herrscht nun viel eher die Dynamik des Trashkinos, die sich in häufigen
Stimmungswechseln ebenso zeigt wie in der flexiblen Kameraführung,
der Montage, der Musik- und Geräuschkulisse: kleineren Budgets begegnet
Franco mit zunehmender Verspieltheit.
18.) Ausgerechnet das vielgelobte Erotikdrama „Le Journal intime
d'une nymphomane“ (1973) bleibt mit seinen vielen Rückblenden
dramaturgisch reichlich konventionell (und gerät stellenweise auch
noch furchtbar klischeelastig); „Le miroir obscene“ und „Les
Possédées du diable“ gehen viel weiter, gerade weil
sie als phantastische Filme in ihrer Verknüpfung von Vergangenem
und Gegenwärtigem, von Tatsächlichem und Imaginärem von
den Regeln der Logik befreit sind.
19.) Natürlich gab es aber auch in dieser Phase die bei Franco eigentlich
obligatorischen Ausfälle: „Tendre et perverse Emanuelle“
(1973) ist ein etwas fantasieloses, fades Sex & Crime Drama, „Maciste
contre la reine des Amazones“ (1973) ist eine peinliche Sexklamotte
im Abenteuergewand, „Célestine... bonne à tout faire“
(1974) ist ein recht alberner Klamaukfilm ohne größere formale
Qualitäten – es ist halt „schwierig, sorgfältig
zu arbeiten, wenn man mehrere Filme in einigen Tagen dreht.“ (Jess
Franco, zitiert nach: Leo Phelix, Rolf Thissen: Pioniere und Prominente
des modernen Sexfilms. Goldmann 1983; S. 40).
20.) Phelix, Thissen: Pioniere und Prominente des modernen Sexfilms. S.
51.
|