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Der Schneidige
Errol Flynn in den Gewölben des cineastischen
Gedächtnisses
Essay von Hannes Blank
Als die Kinemathek in Karlsruhe noch „Kommunales
Kino“ hieß und im Untergeschoss der Orangerie ihren Platz
hatte, da wurden während der späten 1970er im Kinderprogramm
Filme gezeigt, in denen der australische Schauspieler Errol Flynn die
Hauptrolle innehatte. Die Sitzgelegenheiten waren einfache Holzstühle
und der Projektor stand frei am hinteren Ende des Raumes. Während
er das typische Projektorrattern ratterte, hingen im Erdgeschoss berühmte
Gemälde berühmter Maler: Eine sonderbare Collage von Kurt Schwitters,
August Mackes „Leute am See“ und Robert Delaunays Bild eines
einstürzenden Eiffelturms. Nur über einen Nebeneingang konnte
man in den Keller gelangen. In der Samstagsnachmittag-Kindervorstellung
wurden Filme gezeigt, die zwar nicht immer ausgewiesene Kinderfilme waren,
aber alt - und damit halbwegs sex- und gewaltfrei.
Wenn keine Filme mit Errol Flynn kamen, wurden tschechische
Märchenfilme gezeigt oder Verfilmungen von Jules-Verne-Stoffen wie
„In 80 Tagen um die Welt“ mit David Niven, „Reise zum
Mittelpunkt der Erde“ mit James Mason oder der unbekanntere, aber
dafür um so phantastischere „Der Komet“. „Abenteuerfilme“
nannte man so etwas: Furchtlose Männer und Frauen bestehen in exotischen
Welten bizarre Herausforderungen. Es ist prägend, während der
Präpubertät Samstagmittag in die Innenstadt zu fahren und in
einem Museumskeller alte Piratenfilme zu sehen. Die Filme mit Errol Flynn
waren meistens Piratenfilme, in dem die
Piraten so aussahen, wie man sie heutzutage kennt: Verwegene Kerle mit
Augenklappen; Dreispitz auf den Kopf, Säbel, Vorderladerpistole und
Enterhaken im Gürtel. Errol Flynns Piratenfiguren haben einen nicht
unwesentlichen Anteil daran, welches Vorstellung des Seeräubers heute
in den Köpfen präsent ist. Robert Louis Stevensons „Die
Schatzinsel“(„Treasure Island“, 1883) setzte erste Standards.
Die Piraten in diesem Werk waren allerdings mehr bösartig als draufgängerisch,
die Perspektive in „Treasure Island“ war die des braven Schiffsjungen
und nicht die des Oberpiraten. Errol Flynn und die Autoren seiner Drehbücher
schufen einen neuen Typ Pirat: Einen, mit dem man sich identifizieren
konnte. Flynn war kein Schauspieler, der sich früh zu dieser Beschäftigung
berufen fühlte: Der Australier flog von den meisten Schulen, die
er gesuchte, ging im Alter von 16 Jahren auf weite Segeltörns, wurde
dann Goldschürfer und schließlich Manager einer Tabakplantage
auf Neu-Guinea. Seine Filmkarriere begann ironischerweise mit einem Flop
im sogenannten „Swashbuckler“ („Säbelrassler“)-Genre:
Die australische Verfilmung der Legende um die Meuterer der „Bounty“
aus dem Jahre 1932 fiel komplett
durch, doch der Anfang war gemacht, der erste Erfolg sollte nicht lange
auf sich warten lassen. In „Captain Blood“ (1935, deutscher
Titel „Unter Piratenflagge“) spielt Flynn einen selbstlosen
Helfer, der aufgrund dieser Selbstlosigkeit in die Sklaverei gerät.
Die Nichte eine britischen Gouverneurs in der Karibik findet Gefallen
an ihm und erwirbt den gutausehenden Arzt. Als spanische Freibeuter angreifen,
kann er mit einigen anderen Sklaven deren Schiff entern und übernehmen,
was ihn zum Piraten macht. Die Nichte des Gouverneurs begegnet ihm kurze
Zeit später als Gefangene eines Kollegen wieder. Es endet damit,
dass Flynns Figur nicht nur eine Seeschlacht, eine Begnadigung und einen
Posten in der britischen Marine gewinnt,
sondern auch das Herz der Frau. Zu Beginn von „The Sea Hawk“
(1940, deutscher Titel „Der Herr der sieben Meere“) ist Flynn
bereits Seeräuber. Er überfällt ein spanisches Schiff und
verliebt sich in seine Beute, die Nichte eines spanischen Botschafters.
Doch ein Spion der Spanier am englischen Hof lockt ihn in eine Falle.
Auch in „The Sea Hawk“ wird Flynns Charakter für kurze
Zeit zum Sklaven, bevor er ein spanisches Schiff übernehmen kann.
Er kann den Spion enttarnen und die Königin von England vor einem
Angriff warnen. Er wird geadelt und kann die Nichte des Botschafters heiraten.
1952, in „Against all Flags“ (deutscher Titel:
„Gegen alle Flaggen“) ist Flynn der Spion. Er kommt in das
Umfeld von Piraten auf Madagaskar. Durch seine Information kann ein englisches
Kriegsschiff die Piratenfestung erobern. Flynns Charakter kann Straffreiheit
für eine attraktive Piratin erreichen, in die er sich verliebt hat.
So ähnlich die Inhalte klingen mögen, so nachsichtig möchte
man gegenüber Flynns Figuren wegen ihre sympathisch-altmodischen
Ausstrahlung sein. Errol Flynn verpasste dem Bild des maritimen Kriminellen
ein neues Rollenverständnis: Der verwegene Outlaw, im Herzen ein
anständiger Mensch, der sich dem Faustrecht auf hoher See angepasst
hat. Vor allem ein
Mann, der einen hohen moralischen Ehrenkodex an den Tag legt, wenn es
um eine schöne Frau geht. Ähnlich erfolgreich war höchstens
Burt Lancaster in „The Crimson Pirate“ (1952.
deutscher Titel: „Der rote Korsar“), aber das war nur ein
einziger Film. Errol Flynns verwegene Darstellung der Charaktere und sein
Charme mit dem charakteristischen, dünnen Oberlippenbart machten
ihm zum Held unter den Piraten. Ein Held, der das Kinopublikum begeistern
konnte.
Nur einen Film brauchte Errol Flynn, um der Figur des Robin
Hood seinen Stempel aufzudrücken. Seine Darstellung im gleichnamigen
Film von 1938 prägte nachhaltig das Bild des wackeren Gutmenschen
aus Sherwood Forest. In brillanten Farben des neuen Technicolor-Verfahrens
agiert er mit fast übertriebener Lässigkeit. Die Geschichte
war ihm wie auf den Leib geschrieben. Ähnlich bunt in Farben und
Darstellung hat sich nur noch der ein Jahr jüngere „The Wizard
of Oz“ (1939, deutscher Titel „Der Zauberer von Oz“)
in das cineastische
Gedächtnis gebrannt. Flynns Charaktere und deren Wirkung auf Frauen
hatten immer eines gemeinsam: Zunächst fühlten sich die Frauen
von seinem Ungestüm und ungebrochenem Optimismus abgestoßen,
konnten sich jedoch langfristig nicht seiner großen Anziehungskraft
entziehen. Das mag nicht allzu realistisch sein, kommt aber auch beim
männlichen Publikum gut an. Wenn man ein Wort finden müsste,
das die Figuren charakterisieren sollte, die Errol Flynn verkörpert
hat, so ist dies mit Sicherheit das Adjektiv „schneidig“ und
wenn auf die Privatperson Flynn nicht die Bezeichnung „Lebemann“
passt, dann auf niemanden. Errol Flynn war, schmierig ausgedrückt,
„kein Kostverächter“, seine Ausschweifungen zudem manchmal
hart an der Grenze zur Illegalität, zum Beispiel was das Alter seiner
Gespielinnen betraf. Aber: „Berichte in den Klatschspalten über
Flynns ausschweifendes Leben, seine Sexpartys, Orgien und seinen Alkoholkonsum
verstärkten seine Beliebtheit eher, als dass sie ihm schadeten“
schreibt treffend Kay Weniger in „Das große Personenlexikon
des Films“. 1959 schließlich, gerade 50 Jahre alt, starb Errol
Flynn, gerade als er dabei war, aus Geldmangel
seine geliebte Segelyacht zu verkaufen. Am 20. Juni 2009 wäre Errol
Flynn 100 Jahre alt geworden, am 14. Oktober 2009 jährte sich zum
50. Mal sein Todestag. Er ist jemand, der langsam aus dem kollektiven
cineastischen Gedächtnis schwindet. Vielleicht muss man sich seinen
Namen auch nicht unbedingt bis in alle
Ewigkeit merken. Seine Filme, vor allem die Piratenfilme und seine Darstellung
des Robin Hood haben es indes verdient, entdeckt zu werden. Die Kinemathek
Karlsruhe ist nicht mehr im Keller der Orangerie. Sie ist in den Keller
des Prinz- Max-Palais gezogen. Und auch von dort wird sie ausziehen, in
einem Saal des traditionsreichen „Kurbel-Kino“. Vielleicht
wird in zwanzig bis dreißig Jahren einmal jemand darüber schreiben,
welchen Eindruck die Filme auf ihn hinterlassen haben, damals, als die
Kinemathek in Karlsruhe im Keller des Prinz-Max-Palais ihren Platz hatte.
Einer der Zehnjährigen, die heute in den Kindervorstellungen sitzen.
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