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Patrick Kilian
Die Geschichte von Acéphale
Über 'Tragisches Lachen'
BESTELLEN
Frankreich am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, verschiedene
intellektuelle Gruppierungen zwischen Anti-Faschismus, ästhetischem
Surrealismus und eine Geheimgesellschaft auf der Suche nach einem in der
Moderne verloren gegangen Mythos: So könnte man jene Situation beschreiben,
aus der Rita Bischof das Material für ihre Annäherung an eines
der am besten verborgenen Kapitel der französischen Geistesgeschichte
des Zwanzigsten Jahrhundert schöpft. Im Zentrum steht Georges Bataille,
Gründer des Geheimbundes Acéphale, sowie einer der radikalsten
und verfemtesten Philosophen seiner Zeit.
Die bisherige Rezeption des Werkes von George Bataille ist
im deutschsprachigen Raum im Vergleich zu anderen Denkern eher überschaubar
gewesen. So sind die Einführung von Peter Wiechens (1995), Stephan
Moebius’ „Die Zauberlehrlinge“ (2006) sowie Rita Bischofs
„Souveränität und Subversion“ (1984) von einigen
weiteren Werken abgesehen noch singuläre Versuche, sich diesem komplexen
Denker zu nähern. Mit ihrem neuen Buch beschreitet Bischof also ein
weitgehend unerforschtes Terrain und nimmt erneut die Herausforderung
an, Lücken zu schließen und neue Verbindungen aufzuzeigen.
„Tragisches Lachen“ ist hierbei wesentlich mehr
als die Geschichte der kurzlebigen Episode der Gruppe Acéphale
und unternimmt den Versuch, Batailles Philosophie verdichtet aus dieser
Perspektive exemplarisch neu zu beurteilen. Gleich vorweg sei vermerkt,
dass diese Reise durch Batailles Denken vom Leser einiges abverlangt:
Neben den Verbindungslinien zu Nietzsche, und den französischen Soziologen
um die Durkheim-Schule,tauchen auch Karl Jaspers, Georg Simmel und Hegel
auf. Bischof gelingt es dabei, in ihrer Analyse die Querverbindungen zwischen
Bataille und den genannten klar zu strukturieren, ohne jedoch dabei die
für Bataille typische Verschlungenheit seines Denkens zu unterschlagen,
die der Leser so selbst nachvollziehen kann. Abschließende Bewertungen
oder simplifizierende Verkürzungen werden nicht vorgenommen und stattdessen
ein Netz voll assoziativer Nachbarschaften entwickelt. Die Argumentation
droht dabei allerdings zu keinem Zeitpunkt im Strudel der Informationen
zu versinken und behält souverän den Überblick. So ist
es gelungen, diesem einzigartigen und auf den ersten Blick beispiellosen
Experiment um Acéphale einen Kontext zu geben und geistige Vorfahren,
Wegbereiter wie auch Weggefährten zu identifizieren.
Acéphale ist schon allein deshalb ein kompliziertes
Kapitel im Leben Georges Batailles, da man streng genommen zwei Phänomene
unterscheiden muss, die diesen Namen tragen: eine erstmals im Sommer 1936
erschienene Zeitschrift, sowie die im selben Jahr ins Leben gerufene,
mythenumwobene Geheimgesellschaft. Bischof isoliert diese Entwicklungen
voneinander und beschreibt beide in eigenen Kapiteln. Auch die revolutionäre
Bewegung „Contre-Attaque“, aus deren Scheitern Acephale geboren
wurde, sowie das von Bataille und Roger Caillois gegründete „Collège
de Sociologie“ werden eingehend erörtert und kontextualisiert.
Bei der Beschreibung der eigentlichen Geschichte von Acéphale stützt
sich Bischof auf die Texte der Zeitschrift, das „Journal intérieur“
der Geheimgesellschaft, sowie die zahlreichen Korrespondenzen und Vortragstexte.
Ergänzt wurde dieser Quellenkorpus um die, teils in unmittelbarer
Nähe der Gesellschaft, teils von ihren eigenen Mitgliedern, oder
auch nur von geistigen Wahlverwandten produzierten Texte. Bei der Untersuchung
der Zeitschrift zeichnet Bischof so die Themen nach, die Bataille und
seine Gruppe beschäftigten und stellt so vor allem Nietzsche, Dionysos,
das Tragische und den sakralen Mythos als Hauptarbeitskomplexe der Acéphaliens
heraus.
Die Geheimgesellschaft bereitet hier schon größere
Probleme: nicht nur, dass die Mitgliederschaften von Zeitschrift und Geheimgesellschaft
nicht identisch waren, auch das offensichtliche Credo der Geheimhaltung
erschweren einen klaren Blick auf diese kurzlebige, und schon zwei Jahre
nach ihrer Gründung wieder zerfallene, Gruppe. Gegründet um
sich im Selbstexperiment dem Kitt einer jeden Gemeinschaft – ihrem
sakralen Kern – zu nähern, trafen sich Bataille und seine „Jünger“
zu nächtlichen Begegnungen im Wald, um dort jenen Mythos zu finden,
den sie in der modernen Gesellschaft nicht mehr zu greifen vermochten.
Dass sie diese Mythen nicht nur gesucht, sondern auch selbst produziert
haben, zeigt Bischofs Buch sehr dezidiert auf. So entstanden – wahrscheinlich
von Außen – Gerüchte, dass sich die Gesellschaft nicht
nur in rituellen Inszenierungen mit Opfertheorien beschäftige, sondern
ein echtes Menschenopfer an einem ihrer Gruppenmitglieder (womöglich
Bataille selbst) vollziehen wollte. Dass es sich hierbei lediglich um
nicht nachweisbare, und wie ein Exkurs über die Opfertheorie Batailles
zeigt, sogar höchst unwahrscheinliche Vermutungen handelt, macht
Bischof dezidiert deutlich. Sie erliegt auch nicht dem düster-romantischem
Charme dieser Mythen, neigt nie dazu ins literarisch-phantastische abzugleiten
und orientiert stets sich am historisch Nachweisbaren. Wo mangelnde Quellen
die historische Arbeit ins Stocken geraten lassen, nähert sich das
Buch dem Phänomen philosophisch und öffnet dem Leser in den
Kapiteln über Opfertheorie, Gemeinschaftstheorie, Psychoanalyse und
Soziologie Räume zur assoziativen Verknüpfung der Lücken,
ohne jedoch definite Deutungen vorzugeben.
In einem Epilog über das Unmögliche endet „Tragisches
Lachen“, in dem jener Kernkomplex der Bataille’schen Philosophie
durchleuchtet wird, der als Ort hinter den menschlichen Grenzen steht
und nur in temporären Phasen der Transgression zugänglich ist.
Gleich diesem Unmöglichen konnte auch Acéphale nur ein kurzer
Blitz auf der Suche nach den anthropologischen Wurzeln der Gemeinschaft
und dem Heiligen bleiben und musste, einem unstabilen Atom gleich, nach
Ablauf seiner Halbwertszeit wieder zerfallen. „Tragisches Lachen“
ist somit auch eine Geschichte vom Scheitern.
Mit diesem Buch hat Rita Bischof eine sehr kundige Analyse
vorgelegt, die Georges Bataille, den Sartre einmal abfällig als neuen
Mystiker desavouierte, als einen kritischen Philosophen und Denker widmet.
Gerade in den zahlreichen Verbindungslinien zeigt sich die Gelehrsamkeit
und Belesenheit des einstigen Bibliothekars. So ist Bischofs Werk auch
Anlass, sich erneut mit den Texten dieses ungewöhnlichen Theoretikers
auseinanderzusetzen und nach den versteckten Einflüssen zu suchen.
Aber auch für die Beschäftigung mit verwandten Denkern bietet
„Tragisches Lachen“ einen ganzen Katalog an weiterführender,
mit Bataille verbundener, Literatur. Das Namensregister am Ende des Buches
erleichtert hierbei das Nachschlagen und Stöbern.
Der Verlag Matthes & Seitz hat das Buch, gewohnt hochwertig
in einer bibliophil gestalteten Hardcover-Ausgabe besorgt, die auch zahlreiche
Abbildungen der Acéphale-Zeitschriftentitelblätter enthält,
die von dem Surrealisten André Masson gezeichnet wurden. Jene kopflose
Gestallt, die mit ausgestreckten Armen einen Dolch und ein brennendes
Herz hält und von Bataille und Masson zur Ikone von Acéphale
erklärt wurde, befindet sich als Prägedruck auf dem Bucheinband
– hier bleiben wirklich keine Wünsche offen.
„Tragisches Lachen. Die Geschichte von Acéphale“
ist ein sehr ideenreiche und inspirierende Neuinterpretation der Philosophie
Batailles, zeichnet aber auch die Befindlichkeit der französischen
Intelligenz vor dem Zweiten Weltkrieg nach und ist somit unentbehrlich
für jeden philosophisch und historisch Interessierten: ein Meisterwerk.
Rita Bischof
Tragisches Lachen. Die Geschichte von Acéphale
Matthes & Seitz Berlin (2010)
368 Seiten – gebunden
ISBN: 978-3-88221-689-9
Preis: 34,90 Euro
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